Ermittlungen gegen Hunderte ausländische Pflegedienste
München - Betrügerische Pflegedienste stehen im Visier von Ermittlern. Und zwar vor allem Anbieter aus Russland und der Ukraine, deren Pflegepersonal in Deutschland eingesetzt wird. 230 Pflegedienste stehen bundesweit unter Verdacht. Das geht Medienberichten zufolge aus einem Abschlussbericht "Curafair" der Sonderermittlungsgruppe von Bundeskriminalamt (BKA) und Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen (LKA NRW) hervor.
Gauner machen Patienten zu Mittätern
Dabei sollen etliche ambulante Pflegedienste sogar die Pflegebedürftigen zu Mittätern gemacht haben: Die Pflegedienste rechneten bei den Kassen Dienstleistungen ab, die teils gar nicht erbracht worden sind - die Patienten sollen dann dafür von den Pflegedienstbetreibern teils mehrere Hundert Euro im Monat empfangen haben, wie eine Art Provision. Das sagte ein Berliner Ermittler der Süddeutschen Zeitung (SZ). Sie hatte zuerst über den Stand bei den Pflegedienstbetrügereien in Bayern berichtet.
Aus dem Abschlussbericht "Curafair" zitiert die SZ, es gebe Indizien, die darauf hindeuteten, dass die Mitarbeit durch Angehörige oder Pflegebedürftige sogar teils erzwungen werde. Der Hintergrund: Bei einer bundesweiten Razzia seien unter anderem "zwei unbrauchbar gemachte Langwaffen, Typ Kalaschnikow, sowie zwei weitere halbautomatische Waffen mit entsprechender Munition" sichergestellt worden.
Jährlicher Schaden: mindestens eine Milliarde Euro
In dem Bericht von BKA und LKA NRW, der vergangene Woche vorgestellt wurde, ist die Rede von bundesweit tätigen Netzwerken von Pflegediensten. Sie betrügen die Pflegekassen um hohe Summen - Schätzungen zufolge könnte pro Jahr ein Schaden von mindestens einer Milliarde Euro entstanden sein. Dabei sollen sie nicht nur vorgetäuschte Leistungen abgerechnet haben, sondern auch Pflegedokumentationen gefälscht und nicht qualifizierte Mitarbeiter eingesetzt haben. Bei dem Betrug sollen nicht nur die Betreiber der Pflegedienste und die Patienten, sondern teils auch Ärzte und Apotheken beteiligt gewesen sein.
Und das im großen Stil: Allein im Bereich des Oberlandesgerichts München seien rund 15 Verfahren von November 2016 bis April dieses Jahres eingeleitet worden, sagte Anne Leiding, Sprecherin der Staatsanwaltschaft München I, am Dienstag. Die Pflegekräfte seien nicht hinreichend qualifiziert gewesen, hätten die Patienten nur unzureichend medizinisch versorgt - und dennoch hohe Beträge bei den Kassen abgerechnet. Die Staatsanwaltschaft München I ist seit Ende vergangenen Jahres eine von drei Schwerpunktstaatsanwaltschaften für diesen Bereich in Bayern.
Sogar Auftragsmörder unter den Verdächtigen?
Mit dem Abschlussbericht "Curafair" von BKA und LKA NRW existiert nun erstmals eine detaillierte Analyse über das Ausmaß der organisierten Kriminalität und des Abrechnungsbetrugs durch russische Pflegedienste.
Zwar ist der Verdacht schon länger bekannt. Neu sind jetzt die Details: So gehen die Ermittler mittlerweile von Verbindungen zur Organisierten Kriminalität aus - viele der beschuldigten Betreiber sollen zusätzlich in kriminelle Machenschaften wie Geldwäsche, Schutzgeldzahlungen und Glücksspiel verwickelt sein. Wie der Bayerische Rundfunk berichtet, sollen unter ehemaligen Firmenbetreibern sogar Personen sein, die von den Behörden in anderem Zusammenhang als Auftragsmörder verdächtigt werden.
Die Kosten tragen alle Versicherten
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz warf Bund und Ländern vor, es "der organisierten Kriminalität in der Pflege zu leicht" zu machen. Es fehle an Schwerpunktstaatsanwaltschaften und speziellen Ermittlungsgruppen, sagte der Stiftungsvorsitzende Eugen Brysch am Dienstag. Würden Identitäten der Antragsteller nicht überprüft, überrasche es nicht, dass eine Person mehrfach unter wechselnden Namen Pflegeleistungen erhalte. "Das ist naiv und verstößt gegen geltendes Recht", sagte Brysch und forderte, Pflegeleistungen elektronisch abzurechnen und eine einheitliche lebenslange Patientennummer einzuführen.
Abrechnungsbetrug in der ambulanten Pflege kostet die Krankenkassen viel Geld. Den Schaden tragen alle Versicherten, die mit ihren Beiträgen die vorgetäuschten Leistungen finanzieren.