Erfindung aus Augsburg: KI erkennt Kleidung und recycelt sie

Augsburg - Ob Skinny Jeans, weite Hosen oder Schlaghosen – die Modewelt steht nie still. Und Fast Fashion macht es möglich, dass jeder neue Trend für wenig Geld auch selbst getragen werden kann. In einem jeden Kleiderschrank dürfte irgendein Teil liegen, das schon ewig nicht mehr getragen wurde. Bis es eines Tages doch im Müll oder Altkleider-Container landet und ein neues Kleidungsstück gekauft wird.
Das muss aber nicht so sein. Stefan Schlichter, Professor an der Technischen Hochschule Augsburg, hat mit seiner Universität und dem Institut für Textiltechnik Augsburg das Recycling Atelier geschaffen: eine Modellwerkstatt, die Verfahrensweisen erprobt, um Kleidung ökologischer zu produzieren.
Zehn Prozent der weltweiten Treibhausgase entstehen durch Textilproduktion
Denn die energieaufwendige und umweltschädliche Herstellungsweise macht die Textilindustrie zum viertgrößten Umweltverschmutzer und CO2-Produzenten. Nur Mobilität, Nahrung und Bauen verursachen mehr. Zehn Prozent der globalen Treibhausgasemissionen entstehen dem Europäischen Parlament zufolge bei der Textilherstellung.
Das Produktionskonzept von Schlichter und seinen Kollegen will gegen diesen Umstand ankämpfen. Und das, ohne die Preise explodieren zu lassen. Aber wie geht das?
Die Antwort: sauberes Recycling in Verbindung mit Künstlicher Intelligenz. "KI ist die Schlüsseltechnologie", sagt Schlichter der AZ. Um alte Kleidung vollumfänglich in neue Textilien zu verarbeiten, braucht es zuerst eine sorgfältige Sortierung der unterschiedlichen Stoffe. Dafür braucht es Fachpersonal.
KI aus Augsburg lernt Kleidung zu unterscheiden
Für die Textilhersteller gibt es zwei Optionen. Erstens: Sie lassen im Ausland sortieren. Das Problem daran laut Schlichter: "Es ist ökologisch völlig wahnsinnig, die Kleider nach Bangladesch zu schicken, weil das Sortieren dort so billig ist." Zweitens, die Textil-Kategorisierung wird in Deutschland gemacht. Aber: "Es gibt nicht genügend Fachkräfte und es wäre nicht wirtschaftlich."
Anstelle also die Kleidung manuell einzuordnen, übernimmt stattdessen die KI. Die lasse sich so trainieren, dass sie auf Dauer den Erfahrungsschatz eines Facharbeiters ersetze, so Schlichter. "Unsere Studenten haben angefangen, Bilder aus dem Netz herunterzuladen und in die KI einzuspeisen. Anschließend unterscheidet die dann mit Hilfe einer Kamera, ob es sich bei der Kleidung um Hose, Hemd oder T-Shirt handelt. Ob gewebt oder gestrickt, wo befinden sich Knöpfe, Reißverschlüsse und so weiter." Die KI lerne zudem nicht nur selbst, sondern auch viel schneller und genauer als Menschen.
Der Plan des Augsburger Unternehmens: Altkleider sollen besser genutzt werden
Noch ist das System jedoch nicht vollends ausgereift. Die Kleidungsstücke müssten beispielsweise auf eine bestimmte Art und Weise hingelegt werden, damit sie erkannt werden, so Schlichter. In den nächsten vier bis fünf Jahren solle die Technologie aber bereits das gewünschte Niveau erreichen.
Die Firma TexAid, einer der größten Sammler und Sortierer von Alttextilien in Europa, möchte zusammen mit einem europäischen Konsortium 2024 damit beginnen, eine erste automatische Sortieranlage zu bauen, in der dann nach und nach die Erkenntnisse aus dem Recycling Atelier miteinfließen.
Ziel ist es, das gesamte Material der Altkleider wirtschaftlich wieder nutzbar zu machen. "In Deutschland klagen wir darüber, keine Rohstoffe zu haben. Wenn wir unsere Produkte als Rohstoffe verstehen, haben wir genügend Rohstoffe", sagt Schlichter.
Das heißt: Ein T-Shirt muss etwa nicht aus komplett neuer Baumwolle hergestellt werden. Stattdessen kann die eines alten T-Shirts genommen und so ressourcenschonend das neue Kleidungsstück produziert werden. Ein neues Hemd lässt sich aber nicht aus dem Material eines einzigen alten herstellen. Denn die Fäden werden beim Recycling zu stark verkürzt, als dass sie für die Anfertigung desselben Kleidungsstücks reichen.
Künstliche Intelligenz, die Kleidung recycelt: Bis zur Umsetzung wird es noch dauern
Die Realität sieht dann Schlichter zufolge eher so aus: "Ein T-Shirt wird zu 80 Prozent ein Produkt aus Baumwolle, zu 15 Prozent ein anderes Produkt wie eine Tasche und zu fünf Prozent für Baustoffverstärkung verwendet." Im Baubereich komme es beispielsweise nicht darauf an, dass etwas vollständig aus Baumwolle sei, sagt der Experte. Da lassen sich dann die Teile des T-Shirts verwenden, die nicht mehr qualitativ hochwertig genug für ein neues sind. Und doch wird so die gesamte Textilmenge als Rohstoff wiederverwertet.
Um diesen Prozess zu vereinfachen, brauche es auch ein Design, das sich für Recycling eignet, so Schlichter. Ein Teppich etwa, der aus drei Lagen mit drei unterschiedlichen Materialien besteht, wird in Zukunft nur noch aus einem Stoff gefertigt, um die Sortierung zu vereinfachen. Bis das ganzheitlich gedachte Konzept sich flächendeckend in der Industrie durchsetzt, wird es aber seine Zeit brauchen. "Von heute auf morgen wird es keine wunderbare Recycling-Welt geben", sagt Schlichter. Und auch die ließe sich nicht auf rein technischem Weg erreichen.
Recycling in der Textilindustrie: Experte schätzt bis zu 25 Prozent Überproduktion
"Der Konsument muss auch durch Verhaltensänderung beitragen. Das ist immer die Botschaft, die nicht so gerne gehört wird", sagt der Experte. Die eigene Kaufentscheidung anzupassen, ist nicht nur eine Frage des Gewissens, sondern auch des Geldbeutels. Viel teuer wird die Kleidung laut Schlichter durch ökologisches Recyceln jedoch nicht. Das untermauert auch eine von der europäischen Textilindustrie in Auftrag gegebene Studie von McKinsey. Die hat gezeigt, dass der Mehrpreis zwischen drei und zehn Prozent liegen würde.
Im Bekleidungsbereich gibt es Schlichter zufolge eine 25-prozentige Überproduktion. Das heißt, es werden mehr Kleidungsstücke hergestellt als gekauft werden. Der Grund: Jedes Teil muss in jeder Farbe bis zum Saisonende verfügbar sein. "Wenn wir das abstellen, leidet niemand darunter", sagt Schlichter. "Recycling ist positiv, übermäßigen Textilverbrauch zu vermeiden, ist noch besser."