Er macht den gefährlichsten Polizisten-Job der Welt

Stefan Thiele (40) aus Nürnberg bildet Kollegen in Afghanistan aus – sein Testament hat er vorher gemacht. Sein Credo: „Wir müssen dort hin, wo die Probleme sind“
von  Abendzeitung
Polizisten in Afghanistan: Ab 30.November werden die Beamten am Hindukusch auch von bayerischen Ordnungshütern ausgebildet.
Polizisten in Afghanistan: Ab 30.November werden die Beamten am Hindukusch auch von bayerischen Ordnungshütern ausgebildet. © AP

NÜRNBERG - Stefan Thiele (40) aus Nürnberg bildet Kollegen in Afghanistan aus – sein Testament hat er vorher gemacht. Sein Credo: „Wir müssen dort hin, wo die Probleme sind“

Bayern war bislang das einzige Land, das sich weigerte, in Afghanistan beim Aufbau der lokalen Polizei mitzuhelfen. Ex-Innenminister Günther Beckstein hatte die Auswirkungen befürchtet, die Fotos von Särgen mit bayerischen Beamten haben könnten. Sein Nachfolger Joachim Herrmann sieht das anders: Ab 30. November bilden auch Beamte aus dem Freistaat Kollegen am Hindukusch aus. Mit dabei: Stefan Thiele (40), Polizeioberrat aus Nürnberg. Wie geht es ihm damit, demnächst in ein Kriegsgebiet zu ziehen? „Ich persönlich ziehe nicht in den Krieg“, stellt der 40-Jährige klar. „Das Wort verwende ich nicht. Denn weder gehöre ich der Bundeswehr an, noch ist Schießen meine Aufgabe, noch gilt die ausländische Polizei als Anschlagsziel.“ Bewaffnet wird Thiele allerdings schon sein – obwohl er keine exekutiven Aufgaben übernimmt. „Die Dienstwaffe plus eine Maschinenpistole dient allerdings nur unserer Selbstverteidigung.“

In Kabul wird Thiele zunächst für zwölf Wochen an der Polizeiakademie mit elf Kollegen Beamte unterrichten. Drei Jahre dauert die Ausbildung, die vergleichbar mit der Ausbildung zum gehobenen Dienst in Deutschland ist. Warum tut er das? „Wir müssen dort hin, wo die Probleme sind – sonst schwappen sie zu uns. Um ein Land zu stabilisieren, gehört eine stabile innere Sicherheit dazu, und die muss aufgebaut werden.“ Das versuchten auch bayerische Polizisten bis vor zwei Jahren in Bosnien-Herzegowina. Doch einen Erfolg spüren die Einheimischen heute dort recht selten. Die Korruption blüht weiterhin – auch unter Beamten. Thiele bleibt realistisch: „Auch in Afghanistan wird sich nicht von heute auf morgen etwas ändern, es ist eine Sisyphosarbeit. Doch der stete Tropfen höhlt den Stein. Erst bedarf es gesunder Strukturen durch Ausbildung, im zweiten Schritt folgt die Korruptionsbekämpfung.“

Es ist eine komplett andere Welt, die Thiele nun kennenlernen wird. „Vor allem die Kasernierung wird eine Herausforderung: Man kann nicht einfach auf den Markt, um einkaufen zu gehen. Jede Fahrt muss angemeldet werden. Eine Herausforderung ist auch der Umgang mit Menschen mit einem ganz anderen Bildungsniveau – und auch die Kommunikation, die nur über einen Dolmetscher laufen kann. Dabei können Informationen auch verloren gehen.“ Insgesamt sind rund 80 deutsche Polizisten in Afghanistan im Dienst. Wie Thiele mussten sie mehrere Auswahlverfahren bestehen. Dann folgte dreieinhalb Wochen eine spezielle Afghanistan-Schulung. Auf dem Programm stand auch die Minenerkennung und das Fahren mit einem gepanzerten Fahrzeug. „Ein Restrisiko allerdings bleibt“, ist sich Thiele bewusst. Für seine Karriere, weiß Thiele, bedeutet das Vierteljahr in Afghanistan nichts. Auch wenn er plant, anschließend ein Jahr am Hindukusch in einer leitenden Position zu verbringen. „Das verbessert meine Aufstiegschancen bei der Polizei nicht.“ Und wie stark ist der höhere Verdienst ein Anreiz, sich auf diese Mission zu begeben? „Das Geld war nicht die Motivation. 100 Euro netto erhalte ich pro Tag, auch wegen der Gefahr, der ich dort ausgesetzt bin. Aber wer nur wegen des Geldes dort hin geht, der macht etwas falsch.“

Thiele ist ledig, er hat keine Kinder, was seine Entscheidung leichter machte. Diskussionen führte er mit seinen Eltern. „Mein Vater, pensionierter Polizist, ist hochbegeistert. Meine Mutter stößt sich am nicht absehbaren Erfolg – und an der Gefahr. Meine engsten Freunde stehen hinter mir.“ Sein Testament hat er gemacht. Vor Jahren schon. „Aber dennoch: Wenn ich mir nicht zu 95 Prozent sicher wäre, gesund wieder heim zu kommen – dann würde ich nicht fahren.“ S. Will

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