Entführung aus der Lindenstraße

Mozarts Türken-Oper spielt in Nürnberg in der Gegenwart – und siegt mit Christof Prick.
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Sehnsuchts-Blicke in Paaren: Jeff Martin und Tilman Lichdi (unten von li.) himmeln Heidi Elisabeth Meier und Melanie Hirsch an.
Berny Meyer Sehnsuchts-Blicke in Paaren: Jeff Martin und Tilman Lichdi (unten von li.) himmeln Heidi Elisabeth Meier und Melanie Hirsch an.

NÜRNBERG - Mozarts Türken-Oper spielt in Nürnberg in der Gegenwart – und siegt mit Christof Prick.

Es ist nochmal alles gut gegangen in der Lindenstraße! Auch wenn im Hinterhof jetzt statt der griechischen Kneipe ein türkischer Club seine vermutlich dunklen Geschäfte betreibt und finstere Gestalten durch Sonnenbrillen darauf hinweisen, dass Bushido oder sonstige Gefahr im Verzug ist. Am Ende kommt Mozarts Singspiel „Die Entführung aus dem Serail“ trotz radikalem Zeit- und Ortswechsels, der ihm von der Nürnberger Neuinszenierung verpasst wurde, pünktlich beim Versöhnungsfinale an. Hier eher pragmatisch als humanistisch. Nach viel Multikulti-Posing in drei Sprachen und Dutzenden von Gegenwarts-Signalen siegt die Einsicht, dass der Refrain „Und die Hälse schnüren zu“ als letztes Wort nicht taugt.

Wer Mozarts kulturkampflustig ausdekorierte Romanze immer noch als harmloses Märchen sehen will, der hat einige Entwicklungen verpasst. Längst ist die früher oft nur tändelnde Story zur Liebes-Hymne aufgewertet. Der Weg dorthin kennt viele Abzweigungen, und an die intellektuelle Radikalkur des letzten Nürnberger Versuches in Barbara Beyers zweiflerischem Thriller erinnert sich ihr Osmin-Sänger Heinz-Klaus Ecker heute noch reflexerregt. Diesmal bleibt alles in Grenzen, also war auch die Zahl der Buh-Rufer übersichtlich.

Prick wagt abenteuerlichste Kontrast-Schärfungen

Andreas Baesler, im Gelsenkirchener Regie-Team von Nürnbergs neuem Intendanten Peter Theiler hoch notiert, erzählt bei seinem Opernhaus-Debüt die Geschichte von den zwei Liebespaaren, die im fernen Orient in die Gewalt des Bassa Selim und seines brutalen Gehilfen geraten sind, lapidar hier und jetzt. Dass sie, irgendwo in Gostenhof oder Kreuzberg oder in Nachbarschaft von Mutter Beimer spielend, ihre letzten Reste von Logik einbüßen muss, nimmt er achselzuckend hin. „Türkisch für Anfänger“ ist ja auch nur ein Traum.

Das realistisch hochgezogene Bühnenbild von Harald Thor führt vom Hausflur mit Außenwelt-Durchblick in den Innenhof des „Topkapi Saray e.V.“. Dort ist die deutsche Konstanze mit britischer Begleitung „in der Gewalt“ der Türken. Sofern sie nicht grade mit beiden Händen voller Einkaufstüten vom Shopping kommt. Worin die Macht des Bassa über sie besteht, ist unergründlich. Liebhaber Belmonte muss mehr wissen, er holt nicht die Polizei, sondern plant Rückhol-Kidnapping mit Friendly Fensterln.

Es handelt sich um umgeräumte Anlässe, die der wunderbaren Musik Raum schaffen. Man kann das entspannt betrachten und den Wunsch nach Augenhöhe zwischen Spiel und Klang fallen lassen. Oder sich daran halten, dass Mehmet Yilmaz als verschmähter Kavalier den Bassa von Standbild-Allüren befreit.

Bei den Sängern helfen sowieso Mozart und Christof Prick. Der Philharmoniker-Chef beweist seine absolute Kompetenz für diesen Komponisten, kann mit dem Orchester abenteuerlichste Kontrast-Schärfungen wagen und das Herz-Stück der Martern–Arie zum erregt pulsierenden Drama im Drama formen. Da hat Heidi Elisabeth Meier nach tastendem Beginn mit Höhenbravour den Kehlkopf befreit und Tilman Lichdi, den der Dirigent auf Händen trägt, schmiegt sich geradezu in die wonnigen Tenor-Serpentinen. Dem Osmin von Guido Jentjens, kultiviert gesungen und aufmerksam gespielt, fehlt das durchschlagskräftige Gegen-Grollen der Fundi-Anarchie, Melanie Hirsch (Blonde) und Jeff Martin (Pedrillo) kommen nicht recht raus aus dem Schatten des hohen Paares. Gefeiert wurden sie alle, nur bei der Regie gab es Widerspruch. Sieger des Abends blieb Christof Prick. Sein Mozart ist derzeit die stärkste Seite an Nürnbergs Oper. Dieter Stoll

Nächste Vorstellungen: 28.12., 7., 18., 24.1., Tel. 0180-5-231600.

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