Ende einer Schreibblockade

Beim neuen Nürnberger „Tannhäuser“ kann man Wagner persönlich im Titelhelden finden – muss aber nicht.
von  Abendzeitung
Alle Zeigefinger deuten auf den Sänger: Tannhäuser (Richard Decker, auf dem Tisch) hat gesündigt, Elisabeth (Mardi Byers) und Papa (Guido Jentjens) sind pikiert.
Alle Zeigefinger deuten auf den Sänger: Tannhäuser (Richard Decker, auf dem Tisch) hat gesündigt, Elisabeth (Mardi Byers) und Papa (Guido Jentjens) sind pikiert. © Karen Stuke

NÜRNBERG - Beim neuen Nürnberger „Tannhäuser“ kann man Wagner persönlich im Titelhelden finden – muss aber nicht.

Ob der ganze Sängerkrieg mit all seine Schlachten um die Verklemmung der Erotik wieder mal nur ein Traum war, ein Wachtraum immerhin als Recherche-Ausflug ins Unterbewusstsein, das weiß man am Ende der Nürnberger „Tannhäuser“-Neuinszenierung von Rosamund Gilmore nicht so genau. Der Titelheld, den Richard Wagner zwischen Venusberg (Sünde), Wartburg (Liebe) und Rom (Buße) stationär verzweifeln lässt, bleibt im Bühnenbild von Carl Friedrich Oberle immer in der Nähe des Schreibpults. Er ist also buchstäblich in die Enge getrieben.

Mag man den Künstler, der da selbst erlebt oder bloß fantasiert, für den Komponisten persönlich halten (beim fern erklingenden Pilgerchor notiert er die Melodie mit, was die Geburtsstunde der Raubkopie sein könnte), er kommt jedenfalls ans Ziel. Wo sonst nach päpstlich verweigerter Absolution der frisch ergrünte Pilgerstab ins jenseitsorientierte Finale weist, feiern wir hier ganz irdisch das Ende einer Schreibblockade. Tannhäuser delegiert die unverzichtbaren „inbrünstigen Gebete“ schnell noch an die heilige Elisabeth und eilt sodann voller Tatendrang zurück an seinen Arbeitsplatz, den er ja sogar vor „der Hölle Glut“ bewahrte. So pragmatisch wurde bei Wagner noch nie erlöst.

Es ist alles Studierstube in dieser Aufführung. Der ganze Venusberg (überschminkte Damen, die wie ein Flamingo-Schwarm auf den Möbeln lauern) ist auf Untermiete eingezogen und die Herrin der Lüste könnte ein Praktikum bei Dolly Parton im Western-Saloon hinter sich haben. Sobald das Stichwort „Maria“ sie versenkt hat, rücken die Mauern etwas beiseite. Für eine „teure Halle“ reicht das nicht, aber für einen kleinen Hörsaal, wo die Superstars der Wartburg zum Wettsingen antreten. Da steht der anfangs gekippte Flügel, der später als entkerntes Skelett vom Zusammenbruch aller Werte kündet, funktional zur Verfügung. Jeder, der hier was zu singen hat, klatscht am Piano ab.

Rosamund Gilmore zieht ihre Idee vom fabulierenden Titelhelden konsequent durch die drei Akte der Pariser Fassung, die den gereiften Wagner als Mehrwert in die romantische Melodienseligkeit einbringt und das Kontrast-Bild Venus/Elisabeth ausbalanciert. Daran ist die Regie allerdings nicht sehr interessiert, wo sie nach der Verführerin im rosa Korsettpanzer (Alexandra Petersamer mit gradeaus strahlendem Mezzo) die Elisabeth (Mardi Byers, die mit „Aida“ so starken Eindruck machte, hier mächtig tremolierend) als spätes Mädchen mit familiären Defekten flüchtig skizziert. Sie muss sich diskret der Zudringlichkeit des Vaters erwehren und hat auch für Wolframs Grapschen nur den verwundert vorwurfsvollen Jungfrauen-Blick. Dafür applaudiert sie ihrem Herzenssänger, wenn er den „Genuss“ der Liebe preist, frenetisch. Gibt schwer zu denken bei all der Keuschheit rundum.

Weil die Regie alle Blicke auf Tannhäuser lenkt, bleiben Szenen ohne ihn unterbelichtet. Verwunderlich bei der stilisierten Schwangerschaftsgymnastik der Verführerinnen und beim leer laufenden Einzug der Festgäste, denn die Regisseurin war mal eine aufsehenerregende Choreographin.

Richard Decker hat beim Rollendebüt den Tannhäuser schon erstaunlich sicher im Griff, auch wenn er seine ganze Leidenschaft für die Schluss-Szene aufspart. Er singt innerhalb einer Phrase mit mehreren Stimmen, schaltet mit neutralem Ausdruck dauernd zwischen heldischen Aufschwüngen und lyrisch aufgebetteten Kompromissen hin und her. Jochen Kupfer gibt dem Wolfram allen Balsam des Liedgesangs, Guido Jentjens bleibt als Landgraf eine gepflegte Stimme ohne letzte Durchschlagskraft.

Davon findet man bei Christof Prick schon im Vorspiel genügend, denn der Dirigent zieht eine Fassade knallharter Dramatik hoch, in der sich alsbald impressionistische Feinheiten wunderbar spiegeln. Sein bisher bester Wagner in Nürnberg, der es mit der Erinnerung an den weichzeichnenden Thielemann anno 1990 mühelos aufnehmen kann. Das Orchester lässt instrumentale Details erblühen, der Chor singt auch per Fernwartung prächtig. Da konnte die Inszenierung im Windschatten geduckt bestehen – also Beifall für alle. Dieter Stoll

Aufführungen: 25.10., 1., 8.,15. und 29.11., 6. und 27.12. – Karten Tel. 0180-5-231-600

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