Elton John: Ein Weltstar rockt Tüßling
Der Marktflecken im Ausnahmezustand? Der Brite schwebt ein, die Biergläser gehen aus – nur zum Fasching ist hier noch mehr los
Tüßling Anna Waldherr ist skeptisch: „Mei, all die Leit, hoffentlich werdns ned enttäuscht.“ Seit über acht Jahrzehnten wohnt sie neben Schloss Tüßling, aber so viele Menschen auf den Straßen des Marktes hat sie selten gesehen. Dass heute eine Konzert bei der Gräfin ist, weiß die alte Dame – auch wenn sie von Elton John noch nie etwas gehört hat.
Tüßling, zwischen Mühldorf und Altötting, ist ein Ort, an dem die Navis scheitern. 3300 Einwohner hat die Gemeinde, mehr als doppelt so viele Menschen verfolgen Elton Johns Auftritt an diesem Mittwochabend. Ein Ausnahmetag für Tüßling – und vor allem für Schlossherrin Stephanie Gräfin Bruges von Pfuel.
Vor gut 20 Jahren erbte die studierte Forstwirtin das knapp 450 Jahre alte Renaissanceschloss, seitdem setzt die drei Mal verheiratete Mutter von sechs Kindern ihre gesamte Energie in die kostspielige Renovierung. Da helfen auch Konzerte, Gartenmessen, Weihnachtsmärkte oder Vermietungen von Räumen für Tagungen oder Hochzeiten.
„Mich freut sehr, dass auch so viele Einheimische zu den Konzerten kommen“, sagt die Gräfin. „Aber man darf es nicht übertreiben mit den Aktivitäten.“ Drei Konzerte bedeuten drei Mal Verkehrschaos, das können auch die Männer von der Freiwilligen Feuerwehr Mörmoosen mit ihren Kellen nicht verhindern.
Kaum ein Weiterkommen gibt es auf dem Benediktweg, der durch Tüßling zum Geburtshaus des Papstes nach Marktl führt. Heute fahren hier Shuttlebusse aus Altötting zu einem der weltweit bekanntesten Schwulenaktivisten, dessen neues Buch „Love is The Cure – Über das Leben, über Verlust und wie wir Aids besiegen können“ genau an diesem Tag erscheint. Eine Revolution – aber Elton John merkt davon nichts.
Er ist schon am Nachmittag per Heli in den Schlossgarten eingeflogen, hat die Bühne inspiziert, ein Familienfoto absolviert und sich noch ein wenig ausgeruht.
Das Weltstar-Fieber hat den Stammtisch beim Steiner-Wirt nicht erreicht. Hier ist Tüßling ganz bei sich. „Zu Deep Purple wäre ich schon gegangen, aber das geht ja jetzt nicht mehr“, sagt Hans Winter und nimmt einen Jon-Lord-Gedächtnis-Schluck.
Auch sein Spezi Adolf Brunnhuber ist kein ausgemachter Elton-John-Fan. Aber stolz ist er schon ein bisschen, dass die Gräfin nach Chris de Burgh und Joe Cocker auch in diesem Jahr einen so prominenten Gast nach Tüßling geholt hat. Überhaupt die Gräfin! „Null abgehoben“ sei sie. Und jetzt ja auch zweite Bürgermeisterin.
Franz Steiner, der Wirt, kommt mit dem Zapfen kaum noch nach. Die Schlange der Durstigen erstreckt sich von der Theke bis auf die Straße, die Gläser gehen aus. Trotzdem wird das heute nicht der umsatzstärkste Tag des Jahres: „Ihr müsst mal Faschingsdienstag wiederkommen, dagegen ist das heut’ gar nichts“, sagt Steiner und übergibt den Zapfhahn. Schließlich will er Elton John nicht verpassen.
Pünktlich um viertel nach Acht ist es endlich so weit: Im gewohnten Paradiesvogel-Aufzug tapst der 65-jährige Brite auf die Bühne, setzt sich an den Flügel, und die Begleitband rockt los: „Saturday Night’s Alright (For Fighting)“. Wolfgang Fierek schwenkt in Reihe zwei euphorisch den mitgebrachten Union Jack, die Leinwände neben der Bühne zeigen in Großaufnahmen die nur bedingt grazilen, aber überaus flinken Finger Elton Johns bei ihrem Lauf über die Tasten.
Zwei Songs später begrüßt er das Publikum und schwärmt von dem „beautiful place to play a concert“. Wie Recht er hat! Es passt alles zusammen an diesem wunderschönen Juliabend: Der Duft von Bratwürsten und „XXL Monsterburgern“ weht durch den Schlosspark, Elton John spielt Songs aus vierzig Jahren inklusive Evergreens wie „Rocket Man“, „Candle in the Wind“, „I Guess That’s Why they Call it the Blues“ oder „Crocodile Rock“. Das Publikum, das bis zu 100 Euro für die Tickets zahlte, geht begeistert mit. Nur am „Pub Mobil O’zapft is“ im Rückteil des Parks läuft auch während des Konzerts ungerührt das Radio.
Zwei Stunden später verlässt Elton John die Bühne. Während seine Band noch weiter wummert, startet bald darauf schon der Hubschrauber, der auf dem Reitplatz des Schlosses geparkt war.
Elton John steigt auf in den Tüßlinger Abendhimmel. Egal. Am Sonntag singt ja schon Xavier Naidoo zu seinen 7000 Jüngern.