Elf Tage Hoffen und Bangen: Helfer erinnert sich an dramatische Rettung in Riesending-Höhle

Bischofswiesen - In Bayern war es der größte Rettungseinsatz der Geschichte: Mehr als 700 Helfer aus fünf Ländern bangten vor zehn Jahren - ab dem 8. Juni 2014 - um das Leben von Johann Westhauser, damals Anfang 50.
Höhlenforscher hat sich im Untersberg schwer verletzt
Der Höhlenexperte hatte sich im Riesending, Deutschlands tiefster Höhle im Untersberg, schwer verletzt. Allein bis die Notfallmeldung des Forschers zu den Einsatzkräften gelangte, waren bereits zwölf Stunden vergangen. Elf Tage lang überschlugen sich die Ereignisse.
Kälte, Dunkelheit, schmale Gänge. Der Höhleneingang des Riesending liegt auf Bischofswieser Gebiet, weit oben am Untersberg, jenem Karstplateau, das an der höchsten Stelle 1973 Meter hoch ist.
Der Eingang wird mit 1843 Metern angegeben. "Das ist eine Landschaft, die zwar ganz nah dran an der Zivilisation, aber kaum jemandem bekannt ist", sagt Roland Ampenberger. Er ist Sprecher der Bergwacht Bayern und war damals von Anfang bis Ende mit dabei. "Es war ein ungewöhnliches Ereignis", sagt er rückblickend.
Westhauser hatte im Berg - nach einem Steinschlag - ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten. Wie schlimm es um ihn stand, wusste niemand. "Ein Lebensrisiko bei einer Expedition auszuschließen, das widerspricht dem Leben", sagt Ampenberger.
1996 wird die Höhle entdeckt
Entdeckt wurde die Höhle im Herbst 1996 von Forschern der Arbeitsgemeinschaft für Höhlenforschung Bad Cannstatt. Wegen starker Höhlenwinde vermuten sie, dass das System sogar noch deutlich größer ist als bislang bekannt.
Aus dieser Arbeitsgemeinschaft stammt auch der erfahrene Höhlenforscher Westhauser, der mit seinen Kollegen Ulrich Meyer und Thomas Matthalm mal wieder auf Expedition im Riesending war. Es sollte die Vorbereitung zu einer größeren Expedition werden. Seit 40 Stunden bewegten sie sich im Untergrund, als sich der Unfall ereignete.

Die Notfallmeldung erreichte die Bergwacht am 8. Juni um 14.42 Uhr. Klar war zu diesem Zeitpunkt nur, dass jemand Hilfe brauchte, tief drinnen im Untersberg - so schnell wie möglich. "Es bestanden viele Fragezeichen", sagt Ampenberger. "Das wird was Großes und Aufwändiges werden, hieß es."
Ehe Retter beim Patienten ankommen, würde es allein Stunden dauern. "Das Entscheidende war das Lagebild des Unfalls, der Zustand des Patienten und ob Johann Westhauser überhaupt transportfähig war."
Gemeinsam mit einem Salzburger Höhlenforscher war es der Berchtesgadener Stephan Bauhofer, der Erstkontakt zum Verletzten hatte. Bauhofer, selbst Bergretter, hatte sich den Abstieg in das Riesending zugetraut. Zum ersten Mal. "Allen war klar, dass eine Rettung in den nächsten Tagen nicht möglich ist", sagte er in einem Interview, kurz nach seinem Einsatz und nachdem er drei Tage im Untersberg zugebracht hatte.
Keine Kommunikationsmöglichkeiten: "Das war eine echte Herausforderung"
Das Problem: In der Höhle gab es zu diesem Zeitpunkt keine Kommunikationsmöglichkeiten nach draußen. Ein Tagesmarsch lag zwischen Eingang und Verletztem, in einem weitläufig-komplexen Untergrundsystem. "Steigt man einmal hinab, sollte man an alles gedacht haben", sagte einst auch Thomas Matthalm, einer der Begleiter von Westhauser, auf einem Bergfilm-Festival in Berchtesgaden.

Eine Einsatzleitung wurde gebildet, "wir machten uns auf die Suche nach einem Arzt, das war eine echte Herausforderung", erzählt Ampenberger. Mediziner, die in der Lage sind, in eine Höhle abzusteigen, finden sich nicht wie Sand am Meer. Der erste Arzt, der es probierte, kehrte nach der Hälfte des Abstiegs wieder um.
Notwendig waren erfahrene Retter und Hubschrauber, um sie auf den Berg fliegen - und Backup-Mannschaften als Ersatz. Ein Team wurde eigens abgestellt, falls es zu einem weiteren Unfall kommen würde.
Höhlenforscher wurden in Nachbarländern ausfindig gemacht. Aus Österreich, der Schweiz, Italien. "Der Einsatz war schnell ein internationaler", sagt Ampenberger. Rückblickend sei dabei jede Menge Know-how entstanden und ein Netzwerk, das heutzutage bei einem vergleichbaren Einsatz sehr viel erfahrener agieren könnte. Damals war nicht mal das für einen Höhleneinstieg genutzte Ausrüstungsmaterial aufeinander abgestimmt.
Mehr als 200 Retter stiegen in die Höhle ab
Am Ende waren es mehr als 200 Retter, die in die Höhle stiegen, den Patienten zu versorgen, den Weg zu präparieren und den Rücktransport von Westhauser zu organisieren. Insgesamt seien mehr als 700 Mitwirkende am Einsatz beteiligt gewesen, vom Übersetzer bis zum Lebensmittelversorger.
Auch dahingehend war das Organisationsteam herausgefordert, da Hunderte Helfer im Tal und auf dem Berg mit Verpflegung unterstützt werden mussten. "Von der Dimension her gibt es keinen vergleichbaren Einsatz", sagt der Bergwacht-Sprecher. Für die Rettungskräfte gab es Lebensmittelspenden und Gutscheine zur Erholung nach dem Einsatz. "Der Rückhalt aus der Bevölkerung war der Wahnsinn", sagt Ampenberger.
Nach 11 Tagen erblickt Westhauser wieder das Tageslicht
15.000 Meter Seil, 1500 Bohrhaken und mehr als 2000 Karabiner haben die Höhlenretter verbaut, ehe Westhauser - elf Tage nach dem Unfall - das Tageslicht wieder erblickte. Es gibt Videos, die die Einsatzkräfte aufgenommen haben - sie zeigen glückliche, zugleich erschöpfte Gesichter. Westhauser kam in eine Klinik.

Lange dauerte der Rückbau der Rettungsaktion. Der Eingang des Riesending wurde mit einem Metallgitter verschlossen. Den Schlüssel verwahrt seitdem die Gemeinde Bischofswiesen. Die Kosten des Einsatzes: knapp eine Million Euro. Davon musste Westhauser einen Teil tragen. Jenen, den das Land Bayern als "verhältnismäßig zu seinem Einkommen" eingestuft hatte, hieß es damals.