Interview

Eiskapelle am Königssee: Klimawandel steigert Einsturzgefahr

Die einzigartige Eiskapelle am Königssee zieht viele Touristen und Neugierige an. Doch der Klimawandel steigert das Risiko eines Einsturzes der Höhle.
von  Interview: Kilian Pfeiffer
Beliebtes Fotomotiv und beeindruckendes Naturschauspiel: die Eiskapelle am Königssee. Noch ist sie frei zugänglich.
Beliebtes Fotomotiv und beeindruckendes Naturschauspiel: die Eiskapelle am Königssee. Noch ist sie frei zugänglich. © Kilian Pfeiffer

Schönau am Königssee - Der Klimwandel setzt der Eiskapelle am Königssee arg zu. Dennoch ist die Höhle in Bayern noch immer ein beliebtes Ausflugsziel und Fotomotiv für Touristen.

Höhlenforscher Andreas Wolf erklärt im AZ-Interview, wie es um die Eiskapelle bestellt ist, ob ihr bald die Sperrung droht und was Besucher dringend beachten sollten.

AZ : Herr Wolf, die Eiskapelle am Königssee ist deutschlandweit einzigartig. Was macht die Höhle so besonders?
Andreas Wolf: Die Eiskapelle ist die in Deutschland tiefstgelegene Ansammlung von Schnee, Firn und Eis in einer Höhenlage zwischen 850 und 1000 Metern. Je nach Jahrgang kann sich in den Firn- und Eismassen untertags ein Höhlensystem von bis zu 400 Metern Länge entwickeln. Dies ist in der Bundesrepublik einmalig. Das ist auch in den letzten verbliebenen bayerischen Gletschern, wie etwa Blaueis- oder Schneefernergletscher, nicht vorzufinden. Mit dem Begriff Eiskapelle wird einerseits das Schnee- und Firnfeld bezeichnet, andererseits bezeichnet die Höhlenforschung damit auch das Höhlensystem.

Beliebtes Fotomotiv und beeindruckendes Naturschauspiel: die Eiskapelle am Königssee. Noch ist sie frei zugänglich.
Beliebtes Fotomotiv und beeindruckendes Naturschauspiel: die Eiskapelle am Königssee. Noch ist sie frei zugänglich. © Kilian Pfeiffer

Eiskapelle am Königssee: Durch den Klimawandel schmilzt die Randkluft immer weiter aus

Rosi Mittermaier und andere sollen früher dort Ski gefahren sein. Heute wäre das lebensgefährlich.
Als bis Mitte der 1970er Jahre die Eiskapelle als Skipiste genutzt wurde, war die Fläche um ein Mehrfaches größer als heute. 1973 hatte sie rund 50 Quadratkilometer, 2014 waren es nur noch 15 Quadratkilometer. Im vergangenen Jahr stellten wir 25 Quadratkilometer fest. Der Flächenzuwachs der vergangenen zwei Jahre täuscht, da seit 2019 die Fläche insgesamt wieder massiv abnimmt.

Zusätzlich zur Flächenreduzierung hat auch die Dicke, die Stärke und die Höhe der Eismassen stark abgenommen: Im Schnitt der vergangenen Jahrzehnte um mehr als 15 Meter. In Summe hat die Eiskapelle seit 1953 730.000 Kubikmeter verloren. Die Kombination des Rückganges der Fläche und der Stärke des Feldes hat die Randklüfte stark aufgeweitet. Damit sind die Bereiche der Randklüfte und der Eingangsbereich der Höhle nur noch sehr dünn. Gleichzeitig sind das jene Bereiche, von denen das größte Risiko ausgeht, einzustürzen.

Wie hat der Klimawandel der Eiskapelle insgesamt zugesetzt?
Durch den Klimawandel ist die Randkluft in den vergangenen Jahren immer früher und breiter ausgeschmolzen. Das auskragende Eisfeld ist über die Jahre immer dünner geworden, was bei einer Zusatzbelastung, in diesem Fall durch Bergsteiger, zu einem plötzlichen statischen Versagen führte. Ja, der Klimawandel hat massive Auswirkungen auf die Qualität der Routen an und über die Eiskapelle. Auch wenn man das Eisfeld zur Felswand überquert hat, ist man mit den Folgen konfrontiert. Dieser Bereich der Felswand wurde sehr stark in der Festigkeit frostgeschädigt. Felsverankerungen können dort fast nicht geschaffen werden und bei einem ungesicherten Sturz fällt man in die Randkluft.

Höhle in Schönau am Königssee: Am Besten ist es, vor dem Eingang zu stoppen

Wie gefährlich ist es, das Geotop heutzutage zu besuchen?
Gefahren im Gebirge gibt es nicht nur an, auf und unter der Eiskapelle. Vor der Eiskapelle im Eisgraben – das sind die letzten 150 Meter vor dem Höhleneingang – werden durch die Entfestigung der Moränen die Pfadspuren durch Gleitprozesse von mannshohen Blöcken gefährdet. Am Eisfeld ist der Eingangsbereich einer der gefährlichsten Bereiche, da dort die Eisdecke am dünnsten ist. Ohne Vorankündigung kann diese während der Mittagszeit mit großen Felsblöcken abbrechen.

Die Höhlengangpassagen bergen ebenfalls Gefahren. Durch das Hinterspülen der Deckenfirste mit Schmelzwasser und aufgrund von Abschmelzprozessen durch warme Luftströmungen brechen schalenartige Eismassen ab. Manchmal auf ganzer Länge der Gangpassagen: Das passiert schlagartig und ohne Vorankündigung. Das Beste ist, 20 Meter vor dem Höhleneingang zu stoppen und die Eiskapelle am sichersten von außen zu betrachten. Eine Empfehlung für eine 100 Prozent sichere Befahrung gibt es nicht. Von meiner Seite aus werde ich auch keine aussprechen.

Für ein Foto der Eiskapelle riskieren viele Besucher Kopf und Kragen

Als Fotomotiv ist das Eisfeld beliebt. Gehen Gäste ein zu großes Risiko ein?
Ja, an der Eiskapelle erlebt man alles und wundert sich, dass nicht mehr passiert. Und ja, das internationale Publikum will natürlich Bilder machen und riskiert viel dafür: kein Helm mit Licht, langes Verweilen im Eingangsbereich für das ultimative Foto. Erstaunlicherweise gibt es für die hohen Besucherzahlen relativ wenige Unfälle.

Denken Sie, sie muss irgendwann gesperrt werden?
Das ist eine spannende Frage, da der Nationalpark Berchtesgaden bereits die Wasserbecken und Gumpen am Königsbachfall gesperrt hat. Die Gefahr einer Sperrung kann drohen, wenn die Unfallzahlen stark ansteigen würden. Wenn die Eiskapelle weiterhin so stark und auf einen kleinen Rest hin abschmilzt, kann sich das Gefahrenpotenzial von selbst reduzieren. Problem kann aber sein, dass bis dahin ein Run auf das Objekt ausbricht, da jeder die Eiskapelle noch besuchen will, bevor diese im wahrsten Sinne des Wortes davonläuft.

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