Eine Stadt gegen Rechts

PASSAU - 1000 Passauer gehen am Samstag auf die Straße und zeigen Rechtsradikalen, was sie von ihnen halten. Der Oberbürgermeister der Stadt, alle Fraktionen und die Kirchen hatten zu der Demo aufgerufen
Die Wollmütze tief in die Stirn gezogen steht Werner K. bei minus vier Grad an einem Absperrgitter. Der 64-jährige Wissenschaftler für Südostasien ist seit Stunden auf den Beinen, insgesamt sieben wird er durchhalten – demonstrierend, protestierend und sich immer wieder die Kälte aus den Beinen schüttelnd.
Mit mehr als 1000 Bürgern, Politikern, Studenten und Schülern zieht er am Samstag durch die Passauer Altstadt. Erstmals hatte ein Passauer Bürgermeister gemeinsam mit allen Stadtratsfraktionen und den Kirchen zu einer Demo gegen Rechts aufgerufen. Zuvor hatten „Freie Nationalisten“ und NPDler für den selben Tag einen Aufmarsch gegen „Polizeiwillkür“ und „Medienhetze“ angemeldet. Auf den Tag genau vor drei Wochen wurde der Passauer Polizeichef Alois Mannichl vor seiner Haustür niedergestochen. Auf der Suche nach dem Täter krempelte die Polizei die gesamte rechtsradikale Szene in Bayern um.
"Rechtsextremisten unerwünscht!" prangt über der Fußgängerzone
Die Passauer empfangen die Rechtsradikalen am Samstag mit eindeutiger Haltung: Quer über der Fußgängerzone hängen riesige Banner mit der Aufschrift: „Rechtsextremisten unerwünscht!“ Auch in den Schaufenstern, von Balkonen und aus Fenstern hängen Transparente. Gleichzeitig bekunden Bürger ihre Solidarität mit ihrem Polizeichef. OB Jürgen Dupper sagt: „Er ist ein sehr pflichtbewusster Beamter. Ein Polizist mit Leib und Seele.“ Für Demonstrant Werner K. war er „stets ein zuverlässiger Partner im Kampf gegen Rechts. Inzwischen ist er in Passau zum Symbol geworden.“
OB Dupper hatte versucht, den Aufmarsch der Neonazis zu verhindern. Doch das Verbot der Stadt hielt vor Gericht nicht Stand. Gegen 13 Uhr versammeln sich die ersten Rechtsextremisten vor „Heli’s Imbiss“, einem heruntergekommenen Container, vor dem immer eine Deutschlandfahne hängt. Fast alle der angereisten Neonazis sind schwarz angezogen, sie tragen Kapuzen-Shirts und Sonnenbrillen.
Die Gruppe steht einen Steinwurf von dem Polizeigebäude entfernt, in dem Alois Mannichl sein Büro hat. Eigentlich wollten sich die Neonazis direkt davor treffen. Doch das haben die Gerichte verboten. Auch dürfen sie keine Eselsmasken tragen und Lebkuchen mitbringen, letztere in Anspielung auf das Attentat. Die Tatwaffe soll ursprünglich zum Lebkuchenschneiden benutzt worden sein.
Lebkuchen und Eselsmasken sind verboten
Ein beleibter „Nationalist“ begrüßt grölend einen „Kameraden“: „Die Lebkuchen hab’ ich zammgefressen“, dröhnt er. Es dauert zwei Stunden, bis die Teilnehmer komplett sind. Die Polizei kontrolliert alle. Neun Neonazis, aber auch zwölf linke Demonstranten werden festgenommen. Unter den Festgehaltenen sind Manuel und Sabrina H., das „Freie Nationalisten“-Paar, das sechs Tage unter dringendem Tatverdacht in U-Haft saß. Die Beamten sind verwirrt, ob der Haftbefehl noch existiert.
Insgesamt reisen 200 bis 300 „Kameraden“ aus ganz Deutschland an, „Hübsch habt Ihr’s hier in Regensburg“, sagt eine der wenigen Frauen.
Veranstalter Christian Worch, „Freier Nationalist“ aus Hamburg, muss unter seinen Leuten zuerst neue Ordner suchen, die Hälfte wurde von der Stadt und der Polizei abgelehnt. Er fragt nach „Kameraden, die praktischerweise nicht vorbestraft“ sind.
"Hübsch habt Ihr's hier in Regensburg!"
Als NPD-Sprecher Roland Wuttke mit zweistündiger Verspätung seine Rede beginnt, kommt Bewegung in Werner K., der stundenlang auf der Stelle trat, um sich ein bisschen zu wärmen. Der 64-Jährige ist einer der ganz Wenigen, die es ganz nah ran schaffen an die Neonazis. 1500 Polizisten sind im Einsatz – mehr als alle Demonstranten zusammen. Die Devise der Polizei ist: Es muss friedlich ablaufen. Beide Gruppen sollen strikt getrennt bleiben. Die Taktik geht auf.
Trotzdem schafft es Werner K. für einen Augenblick, auszuscheren. Er stürmt plötzlich ans Rednerpult, ruft: „Nazis raus aus Passau!“ ins Mikrofon. Wuttke reagiert mit dem Satz: „Kann den mal jemand entsorgen?“ Polizisten ziehen den Gegendemonstrant weg.
Erst gegen 16 Uhr setzen sich die Neonazis schließlich in Bewegung. Grölend, mit Fahnen und Transparenten ziehen sie durch Passau. Eine Stadt im Ausnahmezustand. An jeder Gasse, die den Weg der Rechten kreuzt, stehen Gegendemonstranten. Sie rufen, pfeifen, trommeln, strecken den Neonazis rote Karten entgegen. Der Zug geht am Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus vorbei – für viele Passauer unfassbar. Vor dem Gefängnis will Manuel H. eine Rede halten, doch der Trupp marschiert vorbei. Zu viele sind offenbar ortsunkundig. Er liest sein Pamphlet schließlich am Schluss der Versammlung ab, als ihm kaum noch jemand zuhört. Inzwischen ist es stockfinster.
Der braune Spuk dauert 3,5 Stunden
Nach dreieinhalb Stunden ist der braune Spuk vorbei. OB Dupper ist „sehr zufrieden“ mit der Anzahl der Gegendemonstranten. „Es waren mehr, als wir erwartet haben.“ Für Werner K. hat sich an diesem Tag etwas verändert in Passau: „Das Bewusstsein in der Bevölkerung hat eine neue Dimension bekommen. So viele Menschen aus allen Schichten und so viele junge – das ist neu!“ Der promovierte Wissenschaftler organisierte früher selbst jahrelang Demos gegen die DVU und die NPD. Heute engagiert er sich für Bildungsprojekte: „Gebildete Menschen sind viel resistenter gegen diesen Schmarrn.“
N. Job