Eine Nottür für den Ordnungswahn

Die Vermessung der Welt geht weiter: Nanne Meyer und Johannes Kersting im Zumikon. „Ich will mich ja nicht mit mir selber langweilen“, sagt die Künstlerin, die dem Ordnungswillen und Orientierungswahn, freihändig pendelnd zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit, mit ihrer „Papierperspektive“ ein Schnippchen schlägt.
Die eine nutzt Flugreisen, um mit dem Bleistift die Konturen der vorbeiflitzenden Landschaft festzuhalten (was – Google-Map steh’ uns bei! – die Zeichnung ins Quälerreich von Sisyphos jetten lässt). Der andere stürzt sich als Laut-Maler in die „Feldforschung“ und bockt Gedanken-Schablonen und Wort-Rätsel als Spiel-Material auf. Die Vermessung der Welt bietet noch viele attraktive Ungleichungen, wie Nanne Meyer (Berlin) und Johannes Kersting (Nürnberg/Karlsruhe) mit ihren ergänzenden und ergiebigen Draufsichten im Nürnberger Zumikon belegen.
Vor knapp 20 Jahren war Nanne Meyer Stadtzeichnerin in Nürnberg. Was man an ihrer nicht ganz spottfreien Burgwächter-Szenerie unter der Parole „Die Stadt will sich in Nürnberg moderner präsentieren“ überprüfen kann, die sich aufgeschlagen in einer Vitrine findet. Eine Seite in einem ihrer wunderbaren „Jahrbücher“, ihrem „persönlichen Gedächtnis“, das zugleich im Ergebnis verrät, das Nanne Meyer nichts weiter sein will als Zeichnerin, der es in einer stetig nachwuchernden „Welt voller Bilder“ stets „um den geistigen Raum dahinter, nicht um Umweltdekoration“ geht: „Ich will mich ja nicht mit mir selber langweilen“, sagt die Künstlerin, die dem Ordnungswillen und Orientierungswahn, freihändig pendelnd zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit, mit ihrer „Papierperspektive“ ein Schnippchen schlägt.
Im Zumikon sind Karten aller Art zu sehen, die sie überzeichnet, übermalt, überstrichelt, überhöht, als hätte das „Navi“ die völlige Orientierungslosigkeit beschlossen und der Fernseh-Kachelmann ins Endstadium seines wissenshubernden Tagesthemenströmungsfilms gefunden. Höhenlinien ergeben mit dem Blau von Seen und dem Schwärzen von Stadtnamen eine reizvolle Rhythmik. „Welt“ und „Welt“ und „Welt“ werden verbunden, und aus den Bergen des Großen St. Bernhard lugen die Geister mit bleckenden Zungen.
Die „Feldforschung“ des Johannes Kersting, der nach Nürnberger Studium bei Reuter nun in Karlsruhe den Blick weitet Richtung Video, ist nicht weniger trügerisch, wenn er einen ratlosen Mann ins Spargelbeet stellt. Das Laut-Malerische des Deutschen wird bei ihm zum Sprungbrett ins Abstruse der Schablonenhaftigkeit. Modellhaft isoliert er in Zeichnungen, Fotos und Bildern die Welt. Mutter Erde erscheint als Pizzabelag, die Reihenhaus-Idylle ruht auf einer Art Kehrricht-schaufel. „Gewisse Stolpersteine“ legt Kersting einem in den Weg. Auch bei seiner bildhaften Projektion im Keller. Wo ein Video-Loop endlos die Lüfter-Blätter einer Klimaanlage rotieren lässt. In einer Styropor-Kulisse mit einer Nottür ins Nichts. Eine schöne Ilusion.
Andreas Radlmaier
Zumikon (Großweidenmühlstr. 21): bis 20. Juni, Mo bzw. Di-Sa 17-20 Uhr