Ein Toter, fünf Verletzte - und Gaffer filmen
Altdorf - Michael Petzold will erst einmal ein Lob aussprechen: "Die Rettungsgasse hat dieses Mal super funktioniert." Das ist aber schon das einzig Positive, was der Sprecher der Polizei Mittelfranken über den Einsatz am Sonntag auf der A 3 bei Altdorf sagen kann.
Denn nicht nur, dass sechs Fahrer die gelungene Rettungsgasse missbraucht haben, um zu wenden und entgegen der Fahrtrichtung zurückzufahren (Strafe dafür: 200 Euro Bußgeld, zwei Punkte in Flensburg, ein Monat Fahrverbot). Auch sie waren wieder massenhaft am Unglücksort: Schaulustige.
20 Autofahrer hat die Polizei dabei erwischt, wie sie an dem tödlichen Unfall vorbeigefahren sind und Fotos und Videos davon gemacht haben.
Ein Toter, fünf Verletzte – ein Happening für Schaulustige
Um diesen Unfall geht es: Nahe dem Autobahnkreuz Altdorf bei Nürnberg kommt am Sonntag ein Opel Vivaro mit niederländischem Kennzeichen ins Schleudern. Der Transporter, in dem sechs Menschen sitzen, überschlägt sich – drei junge Männer werden herausgeschleudert. Ein 19-Jähriger stirbt noch am Unfallort. Fünf Menschen im Alter von 16 bis 40 Jahren werden teils schwer verletzt.
Zwei Stunden lang ist die Stelle komplett gesperrt. Als die Polizei die linke Fahrbahn wieder freigibt, liegt der Leichnam des Mannes noch mit einer Plane abgedeckt und so gut wie möglich abgeschirmt am Unfallort, erzählt Petzold der AZ. "Die Gaffer haben bis zum Stillstand abgebremst, um Bilder zu machen und zu filmen."
Besonders schockt Petzold etwas, was er bisher noch nie erlebt hat: "Auch viele Kinder sind unangeschnallt, teilweise stehend in den Autos vorbeigefahren und haben rausgeglotzt." Die Eltern haben ihnen das Hinschauen offenbar nicht untersagt.
Es liege zwar in der Natur des Menschen, dass man hinschaue, und Gaffer habe es auch früher schon gegeben, räumt Petzold ein. Aber: "Für uns ist es einfach nicht verständlich, wenn Leute filmen, um sich am Leid der anderen zu ergötzen."
Gaffer im dreistelligen Bereich
Insgesamt zwei Streifenwagen mit vier Beamten sind am Unfallort bei Altdorf nur damit beschäftigt gewesen, die Schaulustigen zu kontrollieren. Petzold hat dafür kein Verständnis: "Wir sind ja nicht an einer Unfallstelle, um Autos zu kontrollieren, sondern um den Verletzten zu helfen, die Unfallaufnahme zu gewährleisten und die Stelle so schnell wie möglich zu räumen." Für die Kontrolle eines Gaffer-Autos gingen mindestens fünf bis zehn Minuten drauf, schätzt Petzold. Zeit, die unnötig aufhält. Zeit, in der andere Fahrer vorbeifahren – und filmen.
Petzold sagt: "Hätten wir alle Gaffer kontrollieren können, wären wir bestimmt im dreistelligen Bereich gewesen." Die 20 Fahrer, die letztendlich erwischt wurden, müssen jeweils 60 Euro Bußgeld zahlen und bekommen einen Punkt.
Der Polizist appelliert an die Moral der Fahrer: "Es sollte sich jeder einmal für sich Gedanken machen, ob er es denn wollen würde, wenn er auf der Autobahn schwer verletzt am Boden liegt, und dann fahren hunderte Leute vorbei oder stehen um ihn herum und machen Bilder. Und kurze Zeit später laufen diese Fotos bei Facebook oder auf anderen Social-Media-Kanälen rauf und runter."
Die Antwort lautet sicher: nein.
Direkt vom Unfallort: Die Ausrede eines Gaffers
Was denken sich Gaffer beim skrupellosen Filmen einer Unfallstelle? Örtliche Berichterstatter haben einen Mann gefragt – auch Polizist Michael Petzold hat dessen Ausrede mitgehört:
"Ich habe kein Foto gemacht. Na gut...ich lösche es. Ich wollte zeigen, warum ich im Stau stehe...für die ... Familie ...wollte nicht wissen, was passiert ist, nur ein Bild ... war ein Fehler ... passiert halt ..."
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