Ein Quantum Rost

NÜRNBERG - Mit Cole Porters „Silk Stockings“ von 1955 will sich das Nürnberger Opernhaus auf Seidenstrümpfen in den Musical-Erfolg schleichen. Aber der Versuch, am Richard-Wagner-Platz den Broadway zu installieren, ist keine Erfindung des neuen Intendanten Peter Theiler.
Eine russische Kommissarin und ein britischer Geheimagent sorgen gemeinsam für politische Aufklärung in Nürnberg: James Bond auf der Leinwand und Nina Yaschenko auf der Bühne lassen uns teilhaben an ihren Erfahrungen mit dem Kalten Krieg zwischen Kapitalismus und Kommunismus. Allerdings: Während der 007 vom Baujahr 2008 das neue Russland wie selbstverständlich umarmt, jongliert Ninotschka aus dem Stück von 1955 zwangsläufig weiterhin mit dem 08/15-Klischee vom Sieg der gutgelaunten Dekadenz auf Seidenstrümpfen. Nostalgie, der man ein Quantum Rost nicht absprechen kann. Für Opernhaus-Chef Peter Theiler, der die „Musical“-Sparte als einen Schwerpunkt seiner Nürnberger Arbeit ankündigte und Cole Porters „Silk Stockings“ wie ein Leitmotiv an den Beginn seiner Intendanz platziert, kein Grund zur Beunruhigung: Aktualität ist das Letzte, was ein Show-Publikum erwartet.
Ohne Ernst Lubitsch und Greta Garbo gäbe es dieses Stück gar nicht, denn der Entertainment-Komponist Porter, der mit „Kiss me, Kate" das evergreenste aller Musicals geschaffen hat, holte seine Swing-Impulse aus der Flimmer-Comedy. Die „göttliche" Garbo setzte 1939 den verhangenen Blick erstmals jenseits des Melodramas ein, spielte die linientreuherzige Kommunistin im ideologischen Feindesland infam charmant hinter der Maske, musste aber keinen Ton singen. Das wollte eine gewisse Hildegarde Neff auch nicht, als ihr 1954 auf der Flucht vor dem bedrohlich gewordenen deutschen „Sünderin“-Image in USA die Hauptrolle der Musical-Uraufführung mehr oder weniger aufgedrängt wurde. „Ich kann auf der Bühne nicht singen", sagte die Knef (man hatte ihren Namen für amerikanische Zungen kompatibel gemacht) den Produzenten gebetsmühlenartig, und blieb trotzdem. In ihren Früh-Memoiren „Der geschenkte Gaul" ist das Katastrophen-Szenario mit dem leidenden Komponisten an der Wander-Baustelle geschildert. Nach Tests in Philadelphia wurden die Szenen auf den Kopf gestellt und schließlich zur Überraschung aller Beteiligten in New York gefeiert. Auch der Kommentar von Marlene Dietrich, die zur Seelen-Stütze von Freundin Hildchen anreiste, ist zitiert. Ihr hat die Erstfassung besser gefallen als das Endergebnis, weil es da „kein Musical, sondern ein Schauspiel mit Musik war". Die anspruchsvollere Version verschwand in der Ausbesserungs-Automatik des Showbiz.
„Silk Stockings" schaffte erst 20 Jahre nach der Uraufführung den Sprung ans deutschsprachige Theater und blieb in der „Provinz" hängen. Von Linz, über Kassel (da inszenierte jener Ulrich Melchinger, der in einem denkwürdigen Nürnberger Opernhaus- „Skandal“ aus „Hoffmanns Erzählungen“ eine Marilyn-Monroe-Show gemacht hatte) nach Gelsenkirchen – und jetzt gibt’s aus dem Revier also ein Nürnberg-Duplikat.
„Alles ist möglich" - auch in Nürnberg
Cole Porter war, als er die Melodien zur Spötterspeise des Antikommunismus schrieb, schon über vier Jahrzehnte mit dem Ausstoß von durchschnittlich einer Revue pro Jahrgang im Geschäft und hatte danach noch mit einem Album für Ella Fitzgerald und der Musik zum wunderbaren Film „High Society" den ganz großen Erfolg. Weltweit setzten sich auf den Bühnen von ihm sowieso nur „Anything Goes" von 1934 und „Kiss me, Kate" von 1948 auf breiter Front durch. Beides auch im Nürnberger Opernhaus auf den Spielplan gesetzt, wobei das küssende Kätchen in zwei Produktionen mehr Eindruck machte als der Kampf mit dem höheren Blödsinn des „Alles ist möglich". Und kaum jemand wird sich noch an Details aus Porters „Can-Can" erinnern, sein dritter Titel mit Nürnberg-Lizenz. Die Strumpfband-Frivolität, die den staatstragend prüden Russen-Premier Nikita Chruschtschow beim Studio-Besuch in Hollywood so erregte, war vor „Silk Stockings“ entstanden und lahmte trotz beinchenschmeißender Revue-Girls mächtig. „Ganz Paris träumt von der Liebe“ überlebt als Ohrwurm.
Die Knef, die mit der Routine ihrer Broadway-Jahre in Deutschland zur Chanson-Karriere durchstarten konnte, hat übrigens dann 30 Jahre lang keine Musical-Bühne mehr betreten – erst 1988 ließ sie sich in Berlin überreden und machte die Zimmervermieterin in „Cabaret“. Da war sie nicht mehr von Seidenstrümpfen fasziniert, da besang sie „die A–na–nas“. Dieter Stoll