Ein Hobby für Geduldige - Zu Gast bei einem Gamsbartbinder

Ebersberg - Jakob Weiß sitzt an dem kleinen Schreibtisch im Dachgeschoss seines Hauses, er hat sich über ein Büschel Haare gebeugt. Immer wieder zieht er mit den Fingerspitzen einzelne Haare heraus und legt sie vor sich ab. Nur die längsten, die schönen mit den weißen Spitzen kann er gebrauchen. Bis zu 150 davon bindet er anschließend zu einem Büschel, Hunderte davon wiederum zu einem Gamsbart. Weiß ist einer der letzten Gamsbartbinder Bayerns.
"Früher hat es wesentlich mehr gegeben", sagt der 59 Jahre alte Ebersberger. Vor fünf Jahren fing er an, ein ehemaliger Binder aus Garmisch-Partenkirchen lehrte ihn das seltene Handwerk. Sein eigentlicher Job als IT-Techniker sei nervenaufreibend, das Gamsbartbinden "beruhigt mich", sagt Weiß. Er bindet, was Jäger bei ihm in Auftrag geben oder er kauft ihnen die Haare ab und bindet für den Verkauf. Alte Bärte kann man bei ihm zur Reparatur geben. Trachtler aus ganz Bayern zählten zu seinen Kunden, größtenteils kämen sie über Mundpropaganda, sagt er.
Der Gamsbart: ein Zeichen von Wohlstand und Tradition
"Der Gamsbart ist entstanden, als das Jagen noch verboten war", erzählt Weiß. Denn Mitte des 19. Jahrhunderts war die Jagd Privileg der Adligen. "Um die Jäger aus der Fassung zu bringen, haben sich die Wilderer Haarbüschel vom gewilderten Wild an den Hut gesteckt." Kaiser Franz Josef habe den Gamsbart salonfähig gemacht. Seither gelte er in Österreich und Oberbayern "als Zeichen von Wohlstand und Tradition".
Auf einem großen Tisch hat Weiß sein Sammelsurium an Bärten aufgestellt. Kleinere und Größere stehen hier, auch aus Hirsch-, Dachs oder Wildschweinhaaren. Das Besondere am Gamsbart ist der weiße Reif, den die hellen Haarspitzen nur nach exakter Arbeit bilden. Ein stattliches Exemplar kommt auf bis zu 20 Zentimeter Durchmesser, seine meistverkaufte Variante misst 17 bis 18 Zentimeter. Die Haare von bis zu sieben Böcken und eine Arbeitszeit von 40 bis 60 Stunden sind dafür nötig; der Bart kostet am Ende zwischen 1400 und 1800 Euro.
Die Gamshaare stammen nicht etwa vom Kinn der Gämse, sondern vom Rücken der Tiere, beim Hirsch vom Hals. Nach dem Abschuss im Winter, wenn das Tier noch warm ist, rupft der Jäger diese Haare aus. In eine Zeitung gewickelt bekommt Weiß dann die Büschel, seine Arbeit beginnt. Die Unterwolle wird ausgekämmt, rund die Hälfte weniger an Haaren hat er anschließend in der Hand. Danach wäscht er die Büschel mehrmals und lässt sie trocknen. Weiß steckt die Haare dann in kleine Reagenzgläser und stößt sie mehrere Male auf ein Stück Holz, so dass die Haare unten bündig werden. Mit den Fingern zieht er die längsten heraus und sortiert sie zu kleinen Büscheln. Diese Bündel kommen mit den Spitzen voraus erneut zum Stoßen in ein Gläschen. Mit einem Faden bindet Weiß anschließend die unteren Enden zusammen und taucht sie in Wachs. Die einzelnen Büschel sortiert er der Länge nach, dann bindet er sie spiralförmig um einen Metallstab. Zuerst die Kurzen, außen dann die Längsten. Ein "Alltagsbart", wie Weiß ihn nennt, halte etwa zehn Jahre. Bei guter Pflege aber auch "ein Leben lang".
Im Oktober steigt die Gamsbartolympiade
Für das Binden eines Gamsbartes sei besonderes Wissen nötig, weiß auch Annamirl Raab, Trachtenwartin beim Bayerischen Trachtenverband. Seit dem Zweiten Weltkrieg sei der herrschaftliche Hutschmuck vor allem Teil vieler Vereinstrachten. "Der Gamsbart wird immer noch geschätzt", sagt sie. "Solange es Binder gibt, wird er auch getragen." Gämse gibt es aber heute nur noch wenige, sagt Weiß. Wie lange die Tradition des Gamsbartbindens erhalten bleibt, hängt auch von den Jägern ab. "Junge Jäger wollen nicht mehr rupfen." Viele wüssten gar nicht mehr, "wie das geht". Und mittlerweile gebe es billige Produktionen. Antilopenhaare würden zum Kilopreis verkauft, die Spitzen "blondiere" man einfach.
Aber Weiß lässt sich nicht beirren. Er überlegt, im Oktober sogar bei der Gamsbartolympiade mitzumachen. Geduld brauche man für dieses Hobby schon. Aber das Gamsbartbinden sei keine Kunst, wie seine Freunde oft vermuten würden. "Das sind 50 Prozent stupide Arbeit, 50 Prozent Konzentration." Über dem Schreibtisch hängt ein Regal, kleine geschnitzte Wildtiere schauen auf Weiß herab. Mehrere Stunden täglich, abends oder am Wochenende widmet er sich seinen Bärten. Zwischen Blümchen und Gamshaaren in Gläschen, einem Schrank voll Lederhosen und unzähligen Trachtenhüten im Regal bindet Weiß dann vor sich hin. Selten hört er Radio dabei. "Ich genieße die Stille", sagt er.