Ein Buh-Ruf kommt selten allein

Alles Bravo oder was? Warum am Nürnberger Theater nicht nur der Jubel legitim ist  
von  Dieter Stoll
Buh-Rufe aus dem Nürnberger Opernhaus? Manchmal sind sie berechtigt.
Buh-Rufe aus dem Nürnberger Opernhaus? Manchmal sind sie berechtigt.

NÜRNBERG Am Samstag ist es wieder soweit: Konzert im Nürnberger Opernhaus (siehe das Interview mit Georg Schmiedleitner zu seiner Macbeth-Aufführung in der AZ-Print-Ausgabe vom Mittwoch)! Buh-Konzert! Wenn am Ende der Verdi-Premiere das unterschobene Basismaterial von Schlamm und Blut zum Stillstand gekommen ist, kann das Ritual beginnen. Großer Jubel für jeden Sänger, heftiger Applaus für den Dirigenten und das Orchester. Dann erscheint das Inszenierungs-Team um Regisseur Georg Schmiedleitner, und ein mittlerer Sturm der Entrüstung ist das Mindeste, was alle Beteiligten erwarten. Schau'n mer mal!


Den heftigsten Publikums-Widerspruch seit vielen Jahren gab es kürzlich ausgerechnet nach der Premiere einer aufgedonnerten Harmlosigkeit, der comedyselig dahintaumelnden Aufführung von Rossinis nahezu handlungsloser „Reise nach Reims“. War es ein Streit um Witzfiguren oder eine Auseinandersetzung um Kunst, ein legitimer Widerspruch zur Banalität oder die bornierte Ignoranz gegenüber der Fantasie? Wer weiß es genau?


Auf der Website des Staatstheaters, wo bei der Auswahl veröffentlichter Pressestimmen sonst sorgfältigst jede kritische Bemerkung ausgeklammert wird, steht nun das Zitat eines begeisterten Rezensenten: „Wenn es einigen lautstark grölenden Nürnberger Traditionalisten auch nicht gefallen mag…“ Das runterspielende Wort „einige“ (es war in Wirklichkeit massenhafter Widerspruch) ist in diesem Zusammenhang ebenso interessant wie der Totschlag-Begriff „Traditionalisten“, denn diese Opern-Rarität hatte kaum jemand vorher gesehen. Wer sollte da „Tradition“ erwarten?
Der Argumentations-Ansatz, der zur Publikumsbeschimpfung führt, hat einen langen Bart: Bravo-Rufe, und seien sie von gut platzierten Freunden und Verwandten abgeschossen, dürfen gerne schrill übertrieben sein. Missfallen, mag es auch erkennbar nicht einfach nur gegen „das moderne Zeug“ gerichtet werden, gilt als gegrölt. Da waren wir schon mal weiter mit der Meinungsfreiheit in der Kunst.


Die kleine Nürnberger Kulturgeschichte des Buh-Rufs hat ihr Übergewicht im Opernhaus. Zwar gab es auch im Schauspiel immer wieder Reflex-Protest, bei roten Fahnen („Toller“) oder Nackten („Rose Bernd“). Aber die legendären Stürme der Entrüstung brachen immer übers Musiktheater herein.
Über Jahrzehnte wurde da jeder, der sein Köpfchen über den Konventionsrahmen hinausstreckte, mit Donnerworten bestraft. Der bekennende Kommunist Luigi Nono etwa für „Intolleranza“, der geniale Hans Neuenfels für die Neuerfindung schwarzer Opern-Poesie im „Troubadour“, Wolfram Mehring wegen des Umzugs der „Meistersinger“ in den Reichstag. Das war immer Widerstand gegen herausforderndes Theater, denn Protest gegen Mittelmäßigkeit gab es ebenso wenig wie Abstrafung von Sängern oder Dirigenten.


Mit der Saison 2010/11 könnte das in Nürnberg differenzierter geworden sein. Uraufführungen wie „Das Holzschiff“ lehnte niemand grundsätzlich ab, die Verlegung von „Samson und Dalila“ aus dem Alten Testament in den Gaza-Streifen kann jeder als Denkansatz akzeptieren oder den Jux der „Reise nach Reims“ für „alternativlos“ halten. Die Frage ist nur, ob da schwache Inszenierungen der ermatteten Altmeister Johann Kresnik und David Mouchtar-Samorai und die Gag-Lawinen von Laura Scozzi akzeptabel sind. Das darf kommentiert werden.
So und doch etwas anders ist es jetzt bei „Macbeth“. Verdi hat ein blutiges, von skrupellosen Machthabern erzählendes Shakespeare-Stück vertont, das gerne in prächtigen Gewändern auf abgedunkelter Bühne am hochdramatischen Kern vorbeigemogelt wird. Von Georg Schmiedleitner, der Klassiker wie „Orestie“ und „Nathan der Weise“ in Nürnberg zu Schweißausbrüchen trieb, wird mehr erwartet. Die Gerüchte-Küche brodelt entsprechend.

Verbunden ist das mit der Hoffnung, dass die Aufregung – egal ob Bravo oder Buh – wieder mal lohnt. Wobei der Wunsch, die Meinungsfreudigkeit des Premierenpublikums möge sich endlich auch der Musik zuwenden, sicherlich kühn ist.
Freuen wir uns auf eine Opern-Premiere, die im Wort „Zumutung“ endlich die positive Seite sucht.
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