Ehepaar stirbt bei Wohnhaus-Explosion

Um zwei Uhr nachts fliegt das Haus des Rentnerpaares Johannes und Christa M. in die Luft: Vom 180-Quadrameter- Anwesen bleiben nur Trümmer übrig - ein mysteriöser Unfall oder eine Verzweiflungstat wegen Schulden?
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INZELL - Um zwei Uhr nachts fliegt das Haus des Rentnerpaares Johannes und Christa M. in die Luft: Vom 180-Quadrameter- Anwesen bleiben nur Trümmer übrig - ein mysteriöser Unfall oder eine Verzweiflungstat wegen Schulden?

Josef Egger wacht von dem Knall auf. Vom Blitz. Von den Splittern seines zerborstenen Fensters, die auf sein Bett regnen. Der 68-Jährige aus dem Inzeller Ortsteil Breitmoos steht kerzengerade im Bett. Und das um Punkt zwei Uhr morgens. Er tappt mit nackten Füßen über die Scherben und sieht mit aufgerissenen Augen zum Fenster hinaus: direkt in die Katastrophe. Das Nachbarhaus ist nicht mehr da.

Josef Egger riecht Benzin – dann ein zweiter Knall. Der BMW seines Nachbarn Johannes M. (75) explodiert. Vom 180-Quadratmeter-Haus sind nur Trümmer übrig. In den Ruinen liegen die Bewohner: der Münchner Rentner Johannes M. und seine Frau Christa (67). Der Elektroingenieur, den kaum jemand im Ort kannte, weil er seit 15 Jahren dort zurückgezogen lebte, der unscheinbare, nette, magere Herr mit Glatze, beendete sein Leben mit einem Knall.

Am Mittwochmorgen sehen die Nachbarn auf ein „Schlachtfeld“, wie Polizeisprecher Konrad Rutzinger sagt. Der Garten rund um das völlig zerstörte Haus ist rot von Ziegelstaub. Dachlatten, Balken, Ziegel- und Betonsplitter flogen „wie Geschosse" bis zu 150 Meter weit, in eine Wiese und mitten in acht bis zehn umliegende Häuser. Die Wucht der Explosion hat Garagentore nach innen gedrückt, Ziegel vom Dach geblasen, Fenster in Stücke gerissen. Überall liegen Fetzen von Dämmmaterial herum. „So etwas habe ich noch nie gesehen", sagt Rutzinger. Der Schaden betrage mehrere Hunderttausend Euro. Und doch sei niemandin der Nachbarschaft verletzt. „Wenn das am Tag passiert wäre..."

Schockiert sind die Anwohner dennoch. Kinder, die aus ihren Träumen gerissen wurden, weinen. Die Nachbarn blicken auf ihre zerlöcherten Mauern. Kriseninterventionsteams sind zur Betreuung da, während die Feuerwehr die letzten Flammen löscht. „Es wird wohl noch einige Tage dauern, das Ereignis zu verarbeiten", sagt Inzells Bürgermeister Martin Hobmaier.

Warum das alles? Die wahrscheinlichste Erklärung: Schulden. Seit 2001 stand das Haus in Breitmoos 41 zum Verkauf, vor zwei Jahren gab es einen Interessenten, der aber nie bezahlte, sagt Nachbar Josef Egger. „Eines Tages kam jemand von der Gemeinde und nahm die Mülltonne mit." Egger fand heraus: Johannes M. hatte seine Müllgebühren nicht bezahlt, auch mit der Grundsteuer war er im Verzug.

Das Haus flog Stunden nach der Zwangsversteigerung in die Luft

Am 7. Februar 2008 wurde das Verfahren zur Zwangsversteigerung am Amtsgericht Traunstein eingeleitet. Und diesen Dienstag war schließlich der Termin, an dem Johannes M. sein Haus endgültig verlieren sollte. 540 000 Euro war das Anwesen mit rund 1000 Quadratmeter Grund laut Gutachter wert. „Doch das Meistgebot war gerade mal die Hälfte – 270 000 Euro“, berichtet Amtsgerichtsdirektor Ludwig Kroiß. Das war der Bank zu wenig. Ein neuer Termin wurde anberaumt, „vermutlich wäre das im Januar gewesen“, so Kroiß. Johannes und Christa M. waren im Gericht nicht dabei. Wussten sie überhaupt von der Terminverschiebung?

Verdächtig ist, dass genau in der Nacht danach alles in die Luft flog. Am Nachmittag untersuchen Spurensicherer der Polizei und Brandfahnder des Landeskriminalamts die Trümmer. Ergebnisse: noch keine. Die Polizei rechnet erst heute mit ersten Spuren. „Eine Einwirkung von außen kann man ausschließen", sagt Rutzinger. Ob Johannes M. einen spektakulären Selbstmord beging oder Opfer eines Unfalls wurde, sei nicht klar. Die Fahnder ermitteln „in alle Richtungen". Sicher ist nur: Ein Gasleck war es nicht. Breitmoos hat keinen Anschluss.

Um 5.30 Uhr birgt die Polizei die halb verschüttete Leiche von Johannes M., nur leicht verbrannt. Christa M. liegt etwa zwei Meter weiter rechts unter einer Betonplatte. Die Toten sollen in der Rechtsmedizin München obduziert werden. .

So wenig die Polizei über die Hintergründe der Explosion weiß, so wenig wissen die Nachbarn über das Leben des Münchner Rentnerpaares. 1993 bauten sie ihr Haus am Ortsrand, Elektroingenieur Johannes M. legte die Leitungen in seinem neuen Heim – damit kannte er sich aus: In München führte er ein Planungsbüro in der Dachauer Straße, arbeitete beim Bau des Klinikums Großhadern und des Herzzentrums in der Lothstraße mit. „Wir nannten ihn Kojak, wegen der Glatze", sagt ein ehemaliger Mitarbeiter. Im Herbst 1993 zog er mit Christa, einer schlanken Frau mit raspelkurzen schwarzen Haaren, ein. Am Anfang besuchte Johannes M. noch den Stammtisch, dann zog er sich zurück

Der 75-Jährige pflanzte hohe Hecken um seinen Garten. Einige Male ging das kinderlose Paar wandern, hoch zum „Hörndl“, dem Hausberg. Oder zum Tennisspielen nach Bad Reichenhall. „Bis vor sechs Jahren war oft Besuch da, auch sein Bruder“, sagt Josef Egger. Auch Nachbarin Eva-Maria Bötsch fand ihn sympathisch. „Er hat immer nett gegrüßt, er machte einen gut situierten Eindruck. Er hatte einen kleinen Teich und einen sehr liebevoll gepflegten Garten." Jetzt hat der freundliche Mann ihr Haus zerstört. „Eigentlich könnte ich mein Haus auch in die Luft sprengen.“

Thomas Gautier, Barbara Brießmann, Benjamin Reuter

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