Duft des Glaubens für die Handy-Generation

NÜRNBERG - „1000 x kopiert. 500 Jahre Dürers Betende Hände“: In der Nürn- berger Ausstellung zu einem Massenphänomen wird gestrichelt und gestichelt.
Selbst ein polierter Grabstein mit dem viel strapazierten Motiv stellt sich dem Wallfahrer dieser „unendlichen Geschichte“ entgegen. 1600 Hände, die partout nicht Beifall klatschen wollen, sind im Mittelgang des Kunsthauses (im KuKuQ-Quartier) zum einschüchternden Glaubensbekenntnis hoch getürmt. Cartoonist Gerd Bauer lässt Micky Maus beten, Toni Burghart Füße, eine Anzeige urteilt: „Hilft. Reicht aber nicht.“
Für Holger Felten, Design-Professor an der Nürnberger Kunstakademie, war die visuelle Umsetzung des Themas „eine harte Nuss“. Sie wurde mit der gewissen Leichtigkeit geknackt. Nach dem Holzweg mit dem „Adam und Eva“-Laufsteg setzt die von Kulturreferat und Germanischem Nationalmuseum organisierte Spurensuche „1000 x kopiert“ zum 500. Entstehungsjahr der Betenden Hände Duftmarken bis in die Gegenwart: Auf einem Sockel ruht das Autofahrer-Duftbäumchen des Designers Christian Audigier. Hände für die Generation Handy.
Natürlich ist diese Ausstellung Second-Hand-Werk mit Repliken und Videoeinsatz. Denn das Original ruht bei 19 Grad und 50 Prozent Luftfeuchtigkeit 25 Meter unter der Wiener Erde in der „Albertina“, wo die unglaublich detailliert gearbeitete Zeichnung (man lässt sie hier als Fotopositiv leuchten) über Umwege aus der Sammlung des Willibald Imhoff 1769 landete. Der Marienaltar des Frankfurter Kaufmanns Jakob Heller, den er 1507 bei Dürer in Auftrag gegeben hatte, war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr vorhanden. Sondern verbrannt in der Münchner Residenz, nachdem Dominikaner-Mönche 1616 das gute Stück an den bayerischen Herzog für 8000 Gulden verscherbelten (Dürer hatte ein Jahrhundert vorher 200 erhalten, 70 mehr als Heller zahlen wollte). Nicht ohne von Jobst Harrich eine Kopie erstellen zu lassen. Diese wird genauso gezeigt wie die Wirkungsgeschichte des Blattes, dessen Wert von Albertina-Chef Albrecht Schröder auf 70 Millionen Euro geschätzt wird. Ein Großposter davon gibt’s für den Besucher gratis wie von fünf anderen Handstudien zum Heller-Altar.
Es war eine späte Karriere zum meist reproduzierten Dürer-Werk, die 1871 mit der ersten Ausstellung in Wien einsetzte und nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland ihren Höhepunkt erreichte. Überwiegend weiblich, evangelisch, heute über 70, vielfach Besitzer eines Reliefs, das sie geerbt haben – das sind Daten zur Statistik einer Nürnberger Befragung, der man in einem anderen Raum nochmals in ganzer Lebensgröße begegnet. Und auch der Erkenntnis, dass dieses Frömmel-Symbol, dessen sich selbst Andy Warhol auf seinem Grab bediente, eine neue Karriere im Tattoo-Shop und der Modeindustrie startet.
„Alles ist möglich“ ist Zwischenbilanz-Fazit der Ausstellungsmacher Annekatrin Fries und Claudia Selheim. Der Rundgang durch den Geschmacks-Irrgarten des Kitsch-Bedürfnisses, wo zwischen Nixons Beratungszimmer und Klopapierrolle gestickt und gestrickt, gestrichelt und gestichelt wurde, belegt es.
Drei Nürnberger Künstler kommentieren Dürer mit Distanz: „Aus dem Feuer geboren“ nennt Anders Möhl seine „Fotoskulptur“ als verkokelte Altar-Erinnerung. Fredder Wanoth kontrastiert vor Renaissance-Hintergrund im gefalteten Rahmen des Heilands Fingerzeig mit dem heutigen Siegeszeichen der Ackermänner. Und Markus Putze vereinigt mit seiner starken Wandmalerei Dürer-Technik, Ölberg und Pop-Ikonen. Die Halbwertszeit ist freilich erheblich kürzer: Die Wand wird nach Ausstellungsende überweißelt. Andreas Radlmaier
Kunsthaus (Königstr. 93): Eröffnung am Freitag, 20. November, 19 Uhr, mit Grafiker Klaus Staeck. Bis 21.12. täglich 11-19 Uhr. Eintritt frei