Dritte Startbahn: Unser Dorf wird zerstört!

Attaching – so heißt der Ort, den die Expansion des Flughafens am härtesten trifft. Die Menschen hier sind traurig – und wütend. Die AZ schaut sich vor Ort um.
von  Anne Kathrin Koophamel

Attaching – so heißt der Ort, den die Expansion des Flughafens am härtesten trifft. Die Menschen hier sind traurig – und wütend. Die AZ schaut sich vor Ort um.

Attaching - An der Theke im Kramerladen wartet Elisabeth Ziegltrum auf Kunden. Es ist wenig los, obwohl es heute frische Fleischpflanzerl gibt. „Schlecht, ganz schlecht”, sei die Lage im Dorf Attaching, sagt Ziegltrum. Die dritte Startbahn des Flughafen Münchens soll sich ab 2015 durch den Süden des Dorfes bohren: „Das ganze untere Dorf zieht weg. Aber wir leben doch von den Stammkunden.”

Die Familie Ziegltrum ist eine von vielen, die wegen der dritten Startbahn ihre Heimat zu verlieren droht. Vor der Luftverschmutzung fürchten sie sich, aber noch mehr vor dem Lärm. Mit 70 Dezibel überziehen Flieger künftig im Minutentakt den Himmel über Attaching. Dank der eine Milliarde Euro teuren Bahn sollen stündlich 120 Flugzeuge starten und landen können. Bisher sind es 90 pro Stunde.

Drei Familien leben von Ziegltrums Tante-Emma-Laden. „Wenn die Bahn kommt, ist’s für uns aus”, sagt Schwiegertochter Barbara. Wegziehen könne sie nicht: „Wir fallen nicht in den Sprengel, dem der Flughafen was zahlt.” Auf Immobilienmarkt interessiere sich auch keiner für das Haus.

Früher hat die Familie gerne im Hof gesessen, erzählt Elisabeth Ziegltrum. „Aber heut’ nur noch selten.” Wenn der Wind von Süden kommt, sei es besonders schlimm in Attaching. Dann zitterten die Gartentore und Blumen unter den Triebwerken: „Donnerstags ist am meisten los.” Für die Familie Ziegltraum ist das Milliardenprojekt des Freistaats der Ruin. „Wir wehren uns jetzt bis aufs Äußerste.”

Auf dem Hof
gegenüber hütet Georg Huber seinen Enkel Maxi. Der Bub ist müde. Oft reißen ihn die Flugzeuge beim Einschlafen aus der Bettruhe. „Einen Wutbürger haben sie aus mir gemacht”, sagt Huber. Seine Tochter verteilt Flyer für die Demo am Freitag in München. Vor der CSU-Landesleitung in der Nymphenburger Straße werden die Bürger sich um 10.30 Uhr aufstellen. „Ob wir die Startbahn verhindern können, weiß ich nicht”, sagt Hubers Tochter Monika Riesch, „aber wir können sie rauszögern.” Sie ist auf dem Hof an der Dorfstraße aufgewachsen. Genau wie Vater und Großvater. „Umziehen?” Riesch schaut erstaunt. „Darüber mache ich mir keine Gedanken. Noch ist nicht alles verloren.” Die Menschen in Attaching rücken zusammen. Wenigstens die wenigen, die hier noch leben. „Nein zur 3. Startbahn” hat Riesch auf die Scheibe ihres Fords geklebt.

Am Ortseingang prangt der Schriftzug auf weiteren Autos. Überall haben die Attachinger Scheiben beklebt, Plakate und selbstgemalte Schilder aufgehängt. Am Maibaum steht ein Grabstein. „Attaching, *790 – †3. Bahn” steht darauf geschrieben. Der Ort stirbt. Das ahnt auch die Freisinger Stadträtin Rita Schwaiger. „Helfen Sie uns”, sagt die Freie Wählerin; ihre Stimme bricht: „Wir haben so gehofft, wir haben alles aufgeboten. Jetzt wird uns der Boden unter den Füßen weggezogen. Jetzt sind wir platt.” Genau wie bald das Dorf. Die Leute hätten ihre Traumhäuser gebaut: „So viel Liebe steckt darin. Vögel und die Natur wollen die vom Flughafen schützen, aber nach den Menschen fragt keiner.”

Die Autowerkstatt
von Lars Peuker wäre künftig das letzte Grundstück vor dem Sicherheitszaun. „Für mich ist die Startbahn nicht das größte Unglück”, sagt Peuker. Piloten und Flugbegleiterinnen sind seine Klientel. „Für mich bedeutet die Startbahn ein besseres Geschäft.” Er will expandieren, den Antrag auf eine Baugenehmigung hat er eingereicht. Peuker pendelt jeden Tag nach Attaching. „Ich wohne 35 Kilometer von hier entfernt. Ich hab’ den Lärm nicht daheim. Die Einzelschicksale am Ort sind sicher schlimm.”




Zur Mühle
heißt die Straße, in der bereits einige ihre Häuser verkauft haben. Nicht so Margit Deuter. Sie renoviert gerade ihre Wohnung. Gerade hat sie eine neue Küche ausgesucht. Doch jetzt ist alles vorbei. Auf der Baustelle, zwischen herausgerissenem Dämmmaterial und Kabelschienen, wischt Deuter sich die Tränen von den Wangen. „Wo sollen wir denn hin?”, fragt sie. Geschlafen hat sie wenig, auch zum Sport kann sie sich nicht so recht aufraffen. Lieber zeigt sie ihren Garten. „Ich bin fix und fertig. Wir haben es so schön hier und jetzt wird alles zerstört.”
Deuters Haus, in dem drei Generationen leben, liegt in der besonders betroffenen Schneise. Die 100 Eigentümer können Schallschutzfenster einbauen lassen, sie bekommen Entschädigungen oder können ihr Haus an den Flughafen München verkaufen. „Ich will nicht weg”, sagt Deuter. Geld ersetzt keine Heimat.

In der einzigen Sackgasse des Dorfes wohnt Katharina Hohenschläger. Die dicht behangenen Zweige des Zwetschgenbaums wackeln bei jedem startenden Flieger. Seit dem Krieg lebt sie in dem Haus in Attaching. Ihr Obst- und Gemüsegarten ist ihr ein und alles. „Den lass’ ich nicht zurück. Das ist mein Paradies.” Jedes Wochenende protestiert sie, aber manchmal frage sie sich schon, wenn sie aufgeregt und erschöpft auf ihrem Sofa sitze: „Ist es das wert?” Die Tränen in Attaching fließen schneller, seitdem die dritte Startbahn beschlossen ist. Ein Straßenfest wie jedes Jahr wünscht sich Hohenschläger. „Aber wir werden ja immer weniger.”

In die Vereinskneipe
des BC Attaching kommen immer weniger Gäste. „Die Vereine fallen nach und nach auseinander”, sagt Wirtin Petra Hagl. Bald, fürchtet sie, gibt es nicht mehr genügend Einwohner, um die Mannschaften aufzustellen. Ihr Biergarten ist leer. Wenn ein Flugzeug anfliegt, versteht sie ihr eigenes Wort nicht mehr. Im Urlaub war sie schon lang nicht mehr: „Mein Sohn will keinen Fuß auf den Flughafen setzten.” Sie hofft nicht nur auf den Protest, sondern auf eine neue Aschewolke, die den Flugverkehr lahm legt: „Dann kann ich endlich wieder eine Nacht mit gekipptem Fenster schlafen.”

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