Dramatischer Anstieg: So brutal geht's auf Bayerns Volksfesten wirklich zu

München – Es sollte für Thorsten Müller (Name geändert) eigentlich ein schöner Abend werden. Doch für den 18-Jährigen aus dem Deggendorfer Umland endete das Vilshofener Volksfest in einer Klinik. Ein unbekannter Mann in Lederhosn schlug ihm unweit der Toiletten mehrmals ins Gesicht und verletzte ihn schwer, wie die Passauer Polizei Mitte April mitteilte.
Ein Einzelfall? Die AZ fragte bei den zuständigen Polizeipräsidien die Kriminalitätsentwicklung der besucherstärksten bayerischen Volksfesten seit 2013 ab – denn landesweite Statistiken gibt es nicht. Das Ergebnis ist in Teilen beunruhigend: Zwar stagnierte oder sank bei mehreren der großen Biersausen im Freistaat die Zahl der angezeigten Straftaten in den vergangenen Jahren – denn viele Feste verzeichnen im Vergleich zu früher deutlich weniger Diebstähle.
Doch mehrere der großen Rummel registrierten einen dramatischen Anstieg bei den Körperverletzungen. "Die Volksfeste spiegeln die insgesamt zunehmende Verrohung der Gesellschaft wider", sagt Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft der AZ. Für politische Diskussionen könnte zudem die bei einzelnen Festen massiv gestiegene Zahl an angezeigten Sexualdelikten sorgen.
Große Erfolg im Kampf gegen Taschendiebstähle auf der Wiesn – Trotzdem leichter Anstieg der Straftaten
Gute Nachrichten gibt es vom Münchner Oktoberfest. Dort sank die Zahl der angezeigten Delikte zwischen 2013 und 2019 beinahe kontinuierlich von 1605 auf 959 – ein Rückgang um 40 Prozent. Nach der Corona-Pandemie verzeichnete die Polizei 2022 allerdings einen Anstieg auf 1034 Delikte, im vergangenen Herbst kletterte dieser Wert dann erneut auf 1162 Anzeigen. Ein Teil des letztjährigen Anstiegs ging darauf zurück, dass die Wiesn einen Tag länger dauerte als üblich. "Die Gesamtzahl der Straftaten ist absolut dennoch leicht gestiegen", sagt ein Polizeisprecher der AZ.
Sieht man das Plus an Straftaten im vergangenen Jahr in Relation zur Rekordzahl von 7,2 Millionen Besuchern, registrierten die Beamten allerdings weniger Delikte als noch in den 2010er Jahren. Einen großen Erfolg konnte die Münchner Polizei im Kampf gegen Taschendiebstähle erzielen: Diese nahmen auf dem größten Volksfest der Welt in den vergangenen zehn Jahren rapide um 73 Prozent ab: 2013 gab es noch 535 solcher Anzeigen, im vergangenen Jahr waren es nur mehr 143. Laut Polizei verdanke man den Erfolg der verstärkten Videoüberwachung und dem Einsatz nationaler und internationaler Taschendiebfahnder.
Sexualdelikte beim Oktoberfest auf Höchststand: Betroffene zeigen Straftaten öfters an
Erfreulich aus Sicht der Ermittler ist der spürbare Rückgang bei den angezeigten Körperverletzungen: Diese halbierten sich auf der Wiesn von 2013 bis 2022 beinahe von 474 auf 260. Im vergangenen Jahr stieg die Zahl aufgrund der längeren Dauer der Riesensause leicht auf 268 an.
Eine Entwicklung ist jedoch alarmierend: Die Zahl aller angezeigten Sexualdelikte auf der Wiesn hat im vergangenen Jahr mit 73 einen traurigen Rekord erreicht – 2013 waren nur 17 mutmaßliche Straftaten in diesem Deliktfeld gemeldet worden. Zudem wurden 2023 sechs Vergewaltigungen angezeigt – mehr als in früheren Jahren. Eine wesentliche Rolle für den Anstieg könnten nach Polizeiangaben jedoch mehrere Verschärfungen des Sexualstrafrechts sowie eine Änderung bei der statistischen Erfassung spielen.
Schläge und Tritte: Körperverletzungen stiegen beim Nürnberger Frühlingsfest an
Kettenkarussell, Riesenrad und weitere Attraktionen locken zweimal pro Jahr rund zwei Millionen Besucher an den Nürnberger Dutzendteich. Beim dortigen Frühlingsfest stieg die Zahl der Straftaten deutlich. Lag diese in den Jahren 2018 und 2019 noch bei rund 40 angezeigten Delikten waren es in den Jahren 2022 und 2023 mit gut 90 zweieinhalbmal so viele. Die Zahl der Körperverletzungen verdreifachte sich von 2018 bis 2023 sogar auf 33.
Beim Nürnberger Herbstfest stagnierte zwar die Zahl der Straftaten insgesamt zuletzt – besorgniserregend ist jedoch die Beinahe-Verdoppelung der Körperverletzungen für die Jahre 2022 und 2023 im Vergleich zu 2018 und 2019 – von zusammengerechnet 32 auf 58.
Straftat-Rekord in Fürth: So hoch wie fünf Jahre nicht mehr
Die Michaeliskirchweih in Fürth ist eines der ältesten fränkischen Volksfeste. Dort zog die Zahl der Straftaten auf relativ niedrigem Niveau mit 19 im vergangenen Jahr auf ein Fünf-Jahres-Hoch an – 2022 hatte die Zahl aller Delikte bei elf gelegen.
Die Zahl der Straftaten beim beliebten Rosenheimer Herbstfest unterlag in den vergangenen Jahren erheblichen Schwankungen - zuletzt gab es jedoch einen positiven Trend: Verzeichnete die Polizei zwischen 2016 und 2019 stets über 30 und teils sogar weit mehr Fälle von Körperverletzung, waren es im vergangenen Jahr nur mehr 21 gewesen. Die Zahl der Diebstähle erreichte mit 17 sogar einen neuen Tiefstand.
Mehr Polizisten beim Gäubodenfest in Straubing im Einsatz
Beim Straubinger Gäubodenfest hat die Polizei in den vergangenen Jahren ihre Präsenz deutlich erhöht. Laut Straubinger Polizei würden die mittlerweile vermehrten Streifen zwischen Fahrgeschäften und Bierzelten "bei den Besuchern sehr positiv aufgenommen".
Kein Wunder: Die Zahl der Diebstähle beim Gäubodenfest war zuletzt deutlich geringer als in den Vorjahren. Bei den Körperverletzungen gab es jedoch einen Anstieg: In den beiden Vor-Corona-Jahren registrierten die Beamten zusammen 50 Körperverletzungen auf dem Festgelände und der näheren Umgebung – 2022 und im vergangenen Jahr waren es zusammengerechnet 66. Ein Plus von gut einem Drittel.
Beim Augsburger Osterplärrer sowie dem Herbstplärrer blieb die Zahl der angezeigten Straftaten in den vergangenen zehn Jahren nach Polizeiangaben in etwa auf demselben Niveau. Einen leichten Anstieg gab es jedoch zum Teil bei Gewalt- und Sexualdelikten. Exakte Zahlen nannte das Polizeipräsidium Nordschwaben nicht.
Besorgniserregender Trend bei Kiliani-Volksfest in Würzburg
Bei der traditionsreichen Erlanger Bergkirchweih hatte sich die Zahl der angezeigten Straftaten nach einem Rückgang 2022 (181) im vergangenen Jahr mit 243 in etwa wieder auf Vor-Corona-Niveau eingependelt. 2018 verzeichnete die Polizei insgesamt rund 240, 2019 sogar gut 270 Delikte.
Beim legendären Kiliani-Volksfest in Würzburg stieg die Zahl der Anzeigen 2022 und 2023 im Vergleich zu den Vor-Corona-Jahren deutlich. 2022 erreichte sie mit 55 einen Höchststand und auch die Deliktzahl für 2023 ist mit 41 so hoch wie zuletzt 2013.
"Passt zur Entwicklung der Kriminalstatistik": Anteil von Ausländern unter Tatverdächtigen überrepräsentiert
Bei mehreren Volksfesten ist der Anteil von Ausländern unter den Tatverdächtigen überrepräsentiert, teils deutlich. Bei der Wiesn hatten mit 491 im vergangenen Jahr weit mehr als die Hälfte der 847 Tatverdächtigen keinen deutschen Pass. Dazu muss man allerdings wissen: Kein Volksfest ist bei Touristen so beliebt wie Münchens Biersause – allein aus Italien kamen 106 Verdächtige.
In Würzburg stieg der Anteil der angezeigten Ausländer spürbar. Bis 2017 waren beim Kiliani fast alle Tatverdächtigen Deutsche, in der Folgezeit stieg der Anteil der Ausländer. In diesem Jahr hatte bereits jeder vierte Verdächtige einen auswärtigen Pass. "Auch das passt zur generellen Entwicklung der Kriminalstatistik", so Wendt.