Drahtseilakt über dem Abgrund

Im Salzburger Land wurde die längste und schnellste Drahtseilrutsche der Welt eröffnet. Die AZ hat den Abenteuer-Flug mit Video getestet.
Tina Angerer |
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Hans erklärt mit extra ruhiger Stimme, auf was zu achten ist. Wer körperlich gesund ist und weniger als 120 Kilo wiegt, darf sich das antun. Können muss man nichts.
ho 3 Hans erklärt mit extra ruhiger Stimme, auf was zu achten ist. Wer körperlich gesund ist und weniger als 120 Kilo wiegt, darf sich das antun. Können muss man nichts.
Diese Gurte halten den Fliegenden – alles mehrfach gesichert, wie der Veranstalter betont.
ho 3 Diese Gurte halten den Fliegenden – alles mehrfach gesichert, wie der Veranstalter betont.
An der Rampe, mit Blick ins Tal. Beim Start müssen die Hände 
anliegen, später darf man sie ausbreiten.
ho 3 An der Rampe, mit Blick ins Tal. Beim Start müssen die Hände anliegen, später darf man sie ausbreiten.

Im Salzburger Land wurde die längste und schnellste Drahtseilrutsche der Welt eröffnet. Die Anlage soll 4000 Gäste pro Jahr anlocken. Die AZ hat den Abenteuer-Flug mit Video getestet.

Salzburger Land - "Genieß es“, sagt Hans zu mir. Er ist ein wildfremder Mann, aber es ist ok, dass er mich duzt. Hans hat gerade mein Leben in der Hand. Er hängt mich an mehreren Karabinern an ein Drahtseil, unter mir ist das Tal von Leogang, über das ich gleich hinwegrauschen werde, wenn Hans die Sicherung löst. Kopf voraus, ohne Kabine, ohne Sessel, einfach nur ich mit einer Art dicken Schürze. Unvergesslich sei es, haben sie versprochen.

Das ist es schon jetzt, ausgeliefert einem Hans und ein paar Seilen, die mich halten sollen, während ich eine Minute lang 1600 Meter durch die Luft rausche. Ich fühle mich so gar nicht, wie es die Werbung suggeriert. „Flieg wie Superman“, heißt es da, aber für jemanden, der die Berge normalerweise zu Fuß raufgeht und auch zu Fuß wieder runter, ist das Gefühl der Unbesiegbarkeit jetzt sehr weit weg. Ich muss dauernd an eine RTL2-Sendung denken, in der Lebensmüde in brennenden Autos fuhren, die Sendung hieß plump aber treffend: „Ihr seid wohl wahnsinnig geworden!“

Hier gibt's das Video zum rasanten Flug:

 

Rund 4000 Supermänner pro Jahr sollen ab jetzt den Berg runterrauschen im neuen Flying Fox XXL. Die längste und die schnellste Drahtseilrutsche der Welt ist es, und erdacht hat sie Mister Superlativ himself: Jochen Schweizer, Ex-Stuntman und erfolgreicher Verkäufer von extremen Erlebnissen. „Fliegen ist ein Urtraum des Menschen“, sagt er. „Und Flugangst ist eine Urangst des Menschen. Das macht die Spannung aus.“ Logisch. „Das Gefühl, das der Flying Fox auslöst, ist also eine Art Angstlust.“ Tja, diese Angstlust muss es sein, die Schweizer verkauft: Die Menschen geben ihm Geld, damit sie sich Brücken herunterstürzen, oder Hauswände entlang laufen dürfen, oder übers Leoganger Tal fliegen. „Der Flying Fox ist absolut familientauglich“, behauptet Schweizer, aber was heißt das schon bei einem Mann, dessen Hobby es jahrelang war, aus Hubschraubern zu springen. Zur Eröffnung hat er Schauspielerin Eva Habermann als PR-Gag mitgebracht – eine blonde Pilcher-Darstellerin im Adrenalin-Rausch.

Auch in Bayern sind Abenteuer-Gerätschaften heiß diskutiert. In Zeiten schneearmer Winter gelten sie für manche als Tourismus-Heilsbringer, allerdings gibt es immer auch Proteste von Umweltschützern. Schweizer führte auch in Bayern Gespräche, in Leogang im Salzburger Land kam er schneller als Ziel.

Richtig viel kaputt machen kann man hier nicht. Im Winter tobt hier der Skizirkus. Jetzt passieren wir auf dem Weg nach Leogang die traurigen grünen Schneisen, die die Skiwinter hinterlassen, im Tal dümpeln die Après-Ski-Bars. Vor zehn Jahren war Leogang einer diese Skiorte, die im Sommer tot sind. Jetzt gibt es eine regelrechte Alpen-Fun-Industrie. Bikepark mit allen Schwierigkeitsstufen, die Mountainbiker brettern hier die Lifttrasse runter. Die Sommerrodelbahn heißt „Leos Kufengaudi“, es gibt Leos Sinne-Erlebnispark, Leos Wasserwelt und Leos Spielwanderwelt. Der Flying Fox passt ganz gut hierher.

Dabei soll die neue Anlage für Normalos sein, nicht nur für die extremen Spinner. Er sei wesentlich weniger „heavy“ als Bungee-Jumping oder Fallschirmspringen, erläutern die Event-Spezialisten. Es sei ja kein freier Fall, man fällt nicht, sondern man fliegt eben, wesentlich weniger steil abwärts, dafür viel länger und genussvoll.

Trotzdem muss jeder vorher eine Erklärung unterschreiben, so eine Art Beipackzettel. Der Teilnehmer weiß, steht da, „dass die Ausübung von Flying Fox XXL erhebliche Risiken mit sich bringen kann, die sich zwangsläufig aus der Sportart ergeben. Die Möglichkeit einer Verletzung, auch schwerer Natur, kann nicht ausgeschlossen werden.“ Es handle sich um eine „enorme psychische und physische Belastung“.

Dann folgt eine lange Liste von Krankheiten, mit denen man keinesfalls in den Flying Fox steigen sollte. Beim Durchlesen kommen Zweifel: Vielleicht habe ich doch eine „chronische Ohrenkrankheit“ – was ist das eigentlich, und kann man das haben, ohne es zu merken?

Zur Eröffnung haben die Leoganger auch den Pfarrer zur Segnung gebeten. Er könnte, denkt man kurz, über Vergnügungssucht der Menschen sprechen und über mangelnden Respekt gegenüber der Schöpfung. Tut er natürlich nicht. Er sagt:, „Es ist ein guter Brauch, dass wir Gott bitten, dass er bei uns bleibt und uns vor jeder Gefahr beschützt. Bei all unserem Tun.“ Ob er je mit einem solchen Tun gerechnet hat, der liebe Gott? Jedenfalls weist der Pfarrer noch daraufhin, dass wir mit dem Flying Fox nur sehr kurz, die Engel aber immer fliegen können.

Nicht gerade engelsgleich hänge ich also nun an der Startrampe, als Hans, der fremde Mann mit der Therapeutenstimme, mir erklärt, dass ich langsamer fliege mit ausgebreiteten Armen und schneller, wenn ich sie anlege.

Jetzt gibt es definitiv kein Zurück mehr. Mein linkes Bein zittert, als Hans sein „Genieß es“ ruft. Ich fliege, erst schaukelt es kurz, dann läufts, ich werde schneller, kein Schwindel, man kann nach links und rechts schauen, die Almen vorbeiziehen sehen. Ich habe keine Angst. Und nach einer Weile kommt tatsächlich so ein Gefühl, das man aus der Kindheit kennt. Als man nachts lange Flugträume hatte und sich dabei absolut sicher war, dass man niemals runterfallen kann.

Unter mir auf einem Wanderweg stehen Menschen, kleine Punkte, aber ich merke, dass sie alle zu mir raufschauen, dass sie mich beneiden. Laut rufe ich „Haaalo“ runter, während ich schneller als Karlsson vom Dach und mindestens so mutig wie der kleine Vampir durch die Lüfte schneide.

Vielleicht halten mich die Beobachter da unten auch für einen der durchgeknallten Touristen, die auf der Suche nach der „Angstlust“ sind, und die die Ruhe der Natur und die Schönheit der Berge ad absurdum führen.

Irgendwie hätten sie ja auch Recht. Das nächste Mal gehe ich wieder zu Fuß auf einen Berg, der keinen Einritt kostet und garantiert fun-free ist. Aber oben, da werde ich stehen und mich erinnern. Und mir dann vorstellen, ich könnte runterfliegen.

 

 

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