Donald Stellwag: Vom Justizopfer zum Betrüger?

In den 1990er-Jahren sitzt Donald Stellwag unschuldig im Gefängnis, nach seiner Entlassung gerät er jedoch schnell ins Visier von Ermittlern. Auch jetzt wird gerade wieder nach ihm gesucht.
Helmut Reister |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Donald Stellwag ist in den 90ern in vielen TV-Shows.
dpa Donald Stellwag ist in den 90ern in vielen TV-Shows.

Fast fünf Zentner schwer, kaum noch bewegungsfähig, kaputte Nieren, Bluthochdruck, Kreislaufprobleme, Diabetes: So düster sich die Diagnose auch anhört, für Donald Stellwag (58) – einst Deutschlands bekanntestes Justizopfer – hat sie eine segensreiche Seite. Seine enorme Körperfülle macht ihn haft- und verhandlungsunfähig – und strafrechtliche Ermittlungen der Behörden nahezu sinnlos. Mit dem Problem schlägt sich gerade die Nürnberger Justiz herum.

Antje Gabriels-Gorsolke, die Sprecherin der Nürnberger Staatsanwaltschaft, beantwortet Anfragen, die den dicken Donald betreffen, eher kühl. „Ja“, bestätigt sie kurz und knapp, „ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugsverdachts gegen ihn wurde eingeleitet.“ Ob auch ein Haftbefehl ausgestellt wurde, will sie mit Hinweis auf strategische Überlegungen der Ermittler nicht preisgeben.

Hat Stellwag einen Uhrenhändler um 300 000 Euro betrogen?

Der Grund, warum der dicke Donald mal wieder ins Visier von Ermittlungen geraten ist, ist ein Strafprozess, der diese Woche vor dem Nürnberger Landgericht zu Ende ging. Es wurde das Verfahren gegen einen Schmuckhändler eingestellt, der laut Staatsanwaltschaft einem Schweizer Geschäftsmann gegen eine Summe von rund 300 000 Euro die Lieferung von 14 700 Uhrwerken versprochen hat. Doch die Uhrwerke kamen nie an. Der Angeklagte sagte aus, er habe nur seinen Namen und sein Firmenkonto für das Geschäft hergegeben. Donald Stellwag habe alles eingefädelt.

Nach Aussage des Schmuckhändlers soll es nicht er, sondern sein korpulenter Nachbar gewesen sein, der dem Schweizer Uhrenhändler mehr als 300 000 Euro mit einem Betrugsgeschäft aus der Tasche gezogen hat. Das Geld habe Donald Stellwag in bar kassiert.

Die doch sehr frostige Betriebstemperatur bei der Staatsanwaltschaft in diesem aktuellen Fall hängt mit dem Spannungsfeld zusammen, das sich über viele Jahre hinweg zwischen Donald Stellwag und der Justiz aufgebaut und verfestigt hat.

Nach der Haft steigt der Franke ins Goldgeschäft ein

In den 1990er-Jahren saß Stellwag sechs Jahre lang wegen einer Serie von Bankrauben in Haft – unschuldig, wie sich nach der Festnahme des tatsächlichen Täters herausstellte.

Der Wermutstropfen: Ein Teil der Haftstrafe war durch Betrügereien begründet, an denen es keinen Zweifel gab. Trotz allem sprang für Stellwag eine ansehnliche Entschädigung heraus: knapp 200 000 Euro. Mit dem Geld stieg er anschließend ins Schmuck- und Goldgeschäft ein.

Derzeit fehlt von dem 58-Jährigen jede Spur

2009 rückte Donald Stellwag erneut ins Visier der Ermittlungsbehörden, diesmal verdächtig, der Drahtzieher bei einem spektakulären Goldraub gewesen zu sein.

Er soll einen Schweizer Uhrmacher um 300 000 Euro betrogen haben. Von Stellwag fehlt derzeit jede Spur.

Ein gerichtlich beauftragter medizinischer Gutachter kam damals allerdings zu dem Ergebnis, dass der mehr als 200 Kilogramm wiegende und schwerkranke Mann dauerhaft sowohl haft- als verhandlungsunfähig ist.

Dieses Dilemma droht erneut, wobei erschwerend dazu kommt, dass der Aufenthaltsort von Donald Stellwag nicht bekannt ist. Die Frage, die sich nicht nur diese Behörde stellt: Wie schafft es ein übergewichtiger Mann, der sich kaum noch bewegen kann, spurlos unterzutauchen? Bei der Fahndung hat die Polizei eine Spur nach München verfolgt. Doch unter der Adresse, die Stellwag in einem Antrag angegeben hat, ist er völlig unbekannt.

In den 1990er-Jahren steigt Donald Stellmag innerhalb kürzester Zeit zu Deutschlands berühmtesten Justizopfer auf. Der Fall hat Rechtsgeschichte geschrieben:

  • Dezember 1991: Ein Mann überfällt in Nürnberg eine Bank. Auf den Bildern, die später bei „Aktenzeichen XY ... ungelöst“ ausgestrahlt werden, sieht man eine auffällig große und dicke Person. Ein Polizist aus Schweinfurt sieht diese Sendung und meldet, dass es sich bei dem Mann um Donald Stellwag handeln könnte, einen hochgewachsenen und schwergewichtigen Mann aus einem Dorf bei Würzburg.
  • Februar 1995: Donald Stellwag wird wegen des Bankraubs zu vier Jahren und neun Monaten Haft verurteilt – obwohl er ein Alibi hatte. Ein Humanbiologe, spezialisiert auf vergleichende anthropologische Analysen, hatte den dicken Mann auf den Bildern in der Sparkasse mit Stellwag verglichen und in einem Gutachten behauptet, dass es sich bei dem Täter eindeutig um Donald Stellwag handelt.
  • Februar 2001: Stellwag wird aus der Haft entlassen. Wenige Wochen später wird der wirkliche Täter gefasst. Stellwag bekommt später 200 000 Euro Schmerzens- und Entschädigungsgeld. Einen Teil davon muss der Humanbiologe zahlen, der das Gutachten erstellt hatte.
  • 2001 bis 2009: Stellwag tingelt anschließend durch sämtlich deutsche Talkshows, um von seinem Fall zu berichten. Dass er einen Teil seiner Haftstrafe zu Recht abgesessen hat, verschweigt er. Stellwag war nämlich in mehrere kleine Betrügereien verwickelt, die ihm tatsächlich nachgewiesen werden konnten, und die in die Strafe miteinflossen.
  • l Juli 2010: Donald Stellwag steht erneut vor Gericht. Sechs Männer haben im Dezember 2009 einen Goldtransporter überfallen und ausgeraubt. Sie sollen dabei 1,7 Millionen Euro erbeutet haben. Die Staatsanwaltschaft wirft Stellwag vor, die Tat eingefädelt und von langer Hand geplant zu haben. Verurteilt wird Stellwag nicht. Ein ärztliche Gutachten erklärt ihn als verhandlungs- und haftunfähig.
  • l August 2015: Donald Stellwag steht erneut im Visier der bayerischen Justiz.
Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.