Doch wie viele Gebäude braucht die Kirche noch? "Die Menschen hängen an den Einrichtungen"

Die Austritte steigen, die Einnahmen sinken. Wie soll man künftig mit Gotteshäusern umgehen? Das fragt man sich auch in Berchtesgaden.
von  Kilian Pfeiffer
Eines der bekanntesten Motive Berchtesgadens: die Wallfahrtskirche Maria Gern.
Eines der bekanntesten Motive Berchtesgadens: die Wallfahrtskirche Maria Gern. © Kilian Pfeiffer

München/Berchtesgaden - Wie geht die Kirche künftig mit ihren Gebäuden um? Noch bis Ende 2025 läuft im Berchtesgadener Land ein Pilotprojekt der Erzdiözese München und Freising. Dabei geht es um die Zukunft der Gotteshäuser, die aufgrund anhaltender Kirchenaustritte weniger Zulauf erfahren. Analysiert werden alle Gebäude der Kirche im Dekanat Berchtesgadener Land. Tatsächlich sind das mehr als gedacht.

Die Zusammenlegungen der vergangenen Jahre sind Zeugnis des Reformwillens, der derzeit in der Erzdiözese München und Freising um sich greift. Seit Anfang des Jahres sind die Dekanate Berchtesgaden und Teisendorf zusammengelegt worden und umfassen 28 Pfarreien.

Somit existiert nur noch das Dekanat Berchtesgadener Land, das vor besondere Herausforderungen gestellt wird. Es ist Teil eines Pilotprojektes, das es so noch nicht gab und das zu dessen Abschluss Ende kommenden Jahres voraussichtlich viele Emotionen unter den rund 57.000 Katholiken (108.000 Einwohner im Landkreis) hervorrufen könnte.

Wie geht Kirche mit Gebäuden um? 436 Kirchenaustritte im vergangenem Jahr

Tatsächlich geht es um nichts weniger als die Zukunft der kirchlichen Gebäude. Aufgrund von Kirchenaustritten und wegen der prognostizierten demografischen Entwicklung steht der Kirche künftig weniger Geld zur Verfügung. Im vergangenen Jahr waren im Berchtesgadener Land 436 Personen aus der Kirche ausgetreten.

In den vergangenen sechs Jahren waren es knapp 3000. Im Nachbarlandkreis Traunstein (Einwohner: 181.000) waren es im vergangenen Jahr 1010 Personen. Die Kirche analysiert die Gründe für die Austritte nicht weiter. Lapidar heißt es auf AZ-Anfrage: "Dazu werden keine Erhebungen erstellt, Angaben zu den Gründen für die Austritte liegen uns nicht vor."

Münchner Altstadt mit Altem Peter an einem sommerlichen Tag (Archiv).
Münchner Altstadt mit Altem Peter an einem sommerlichen Tag (Archiv). © Imago /Wolfgang Maria Weber

Fakt ist: Die Erzdiözese München Freising wird in Zukunft weniger großzügig finanzielle Mittel verteilen, als sie das bislang tat. Natürlich hat das Auswirkungen auf die Handlungsmöglichkeiten der Dekanate. Mit den fehlenden finanziellen Mitteln werden die Spielräume daher kleiner. "Weil Kirche – nicht etwa wie der Staat – Schulden machen wird, müssen wir uns darauf rechtzeitig einstellen", sagte Domkapitular Thomas Frauenlob bereits im vergangenen Jahr.

Auf Nachfrage ist nun klar, wie groß der kirchliche Gebäudebestand tatsächlich ist, um den es in jener Pilotprojektregion, dem Dekanat Berchtesgadener Land, geht. 28 Pfarrkirchen stehen im Fokus, 17 Nebenkirchen, 30 Filialkirchen, 32 Kapellen und 56 Privatkapellen.

Zu den Pfarrbüros und Wohnungen stehen der Erzdiözese München Freising laut eigener Angabe keine verlässlichen Daten zur Verfügung, "da wir keine genaue Übersicht haben, wie die Gebäude vor Ort tatsächlich genutzt werden", teilt ein Sprecher auf Nachfrage mit. Die Kirche hat demnach keine Kenntnis darüber, wie ihre eigenen Gebäude genutzt werden. In einem vorliegenden Verzeichnis werden im Altdekanat Berchtesgaden elf Pfarrämter aufgeführt, im neuen Dekanat Berchtesgadener Land sind es insgesamt 21 Pfarrämter, verteilt auf eben jene 28 Pfarreien.

Welche Gebäude können anderweitig verwendet werden?

Geklärt wird derzeit, welche pastoralen Schwerpunkte notwendig sind und welche Räumlichkeiten dazu benötigt werden. "Entsprechend dem Ergebnis dieser Überlegungen stellen sich die Fragen der Weiterverwendung: Welche entbehrlichen Gebäude können anderweitig verwendet werden", sagt Domkapitular Thomas Frauenlob.

Das ist notwendig, weil die Verpflichtung, alle Gebäude zu erhalten und gegebenenfalls zu modernisieren, mit künftig weniger Einnahmen deutlich schwieriger wird. Noch gibt es derzeit keine Schließungsabsichten für die Kirchen selbst. Aber zumindest Überlegungen. Denn neben den schwindenden Finanzmitteln sind es vor allem Austrittszahlen und Personalprobleme, die die Kirche beschäftigen.

Domkapitular Thomas Frauenlob aus Berchtesgaden.
Domkapitular Thomas Frauenlob aus Berchtesgaden. © Kilian Pfeiffer

Laut Erzdiözese München Freising traten im Jahr 2023 insgesamt rund 32.800 Menschen aus der Katholischen Kirche aus. Das entspricht rund viermal der Einwohnerzahl Berchtesgadens. Die Kirche verweist darauf, dass es immerhin 16.100 Austritte weniger waren als ein Jahr zuvor, im Jahr 2022.

Das Dekanat Berchtesgadener Land verfügt über eine nicht näher genannte Zahl an kirchlichen Grundstücken. Im Sinne einer Stärkung der Einnahmesituation sei man bestrebt, diese künftig zu verwerten, heißt es. Dies sei jedoch oft nicht einfach so zu lösen, auch wegen des Grundsatzes "Grund für Grund".

Die kirchlichen Stiftungen dürfen laut Rechtslage nicht geschwächt werden, weil in den meisten Fällen eine Stifterabsicht dahinter steht. Gebäude und Grundstücke gehören zudem nicht dem Dekanat, sondern den einzelnen Kirchenstiftungen, die darüber selbstständig verfügen. "Jede Kirchenstiftung muss sich also fragen: Was wollen und können wir uns langfristig noch leisten?", sagt Frauenlob.

Sich auf ein Zukunftsbild der Kirche vor Ort zu verständigen, sei die größte Herausforderung, vor der die Kirche und ihre Verantwortlichen derzeit stehen. Langfristig wird das Geld fehlen, mit dem die Kirche bislang haushalten und sich einen großen Gebäudebestand finanzieren konnte.

"Die Menschen hängen an den Einrichtungen"

"Die Menschen hängen an den Einrichtungen, insbesondere ihren Kirchen", sagt Frauenlob. Er sei sich bewusst darüber, dass am Ende, nach Abschluss des Projektes, ein "Maß an Emotionen aktiviert werden wird". Damit muss das Dekanat Berchtesgadener Land umzugehen lernen. Die Auswirkungen seien derzeit aber noch nicht gänzlich abzusehen, sagt der Domkapitular.

Bei dem Projekt in Berchtesgaden handelt es sich nur um eines von zwei Pilotprojekten der Erzdiözese München und Freising, das zweite läuft in Forstenried. Welche und wie viele Gebäude grundsätzlich in der Erzdiözese künftig in welcher Form genutzt oder in einzelnen Fällen auch verkauft werden könnten, lasse sich nicht seriös sagen, sagt der stellvertretende Pressesprecher der Erzdiözese, Christoph Kappes, auf Anfrage. Am Ende handele es sich immer um Entscheidungen vor Ort mit Blick auf die jeweilige Situation.

Künftig könnten so vielleicht Räume nicht mehr nur von einer Pfarrei, sondern von mehreren gemeinsam oder zusammen mit der Caritas, mit einer Bildungseinrichtung, mit der evangelischen Gemeinde oder der Kommune genutzt werden. Eine weitere Möglichkeit: Der Umbau eines Gebäudes in ein Wohnhaus, dessen Wohnungen anschließend vermietet werden können.

Zusammenarbeit mit der evangelischen Kirche

Auch in der evangelischen Kirche gibt es einen ähnlichen Prozess. Aufgrund des Mitgliederschwunds wolle oder müsse man sich Gedanken über die Immobilien machen, sagt Stefan Neukamm, Abteilungsleiter Immobilien der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde im Dekanatsbezirk München. Beispielsweise habe man eben erst ein Gemeindezentrum in Unterschleißheim an die Stadt verkauft.

Mit der katholischen Kirche sei man diesbezüglich in einem engen Abstimmungsprozess. So würden teilweise Gemeinde- und Pfarrhäuser gemeinsam genutzt – wenn beispielsweise ein gut erhaltenes neben einem baufälligen Gebäude stehe. Bei Kirchen sei das noch schwierig.

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