Dieser Fotograf machte sich in Nürnberg unvergesslich
Der Amerikaner Ray D'Addario dokumentierte die Nürnberger Kriegsverbrecher- Prozesse. Seine Aufnahmen sind der Grundstock für das neue Memorium
NÜRNBERG Holyoke, das kleine verschlafene Nest in Massa-chusetts (USA), muss man aus dem Blickwinkel der Pegnitzauen nicht kennen. Aber jeder, für den die „Stadt der Reichsparteitage“ mehr als eine bedeutungslose Worthülse ohne geschichtliche Bedeutung ist, hat eine enge Beziehung dorthin, ohne es vielleicht zu wissen. Aus Holyoke stammt Ray D'Addario (90), der Nürnberg schon zu Lebzeiten ein Erbe hinterlassen hat, das gleichermaßen beeindruckend wie bedrückend ist. D'Addario war der amerikanische Armeefotograf, der die Nürnberger Prozesse mit seiner Kamera begleitete - und damit ein Stück Weltgeschichte auf seinen Filmen festhielt.
Michael Diefenbacher, Chef des Nürnberger Stadtarchivs, erinnert sich an einen zähen, über zwei Jahre hinziehenden Verhandlungs-Marathon, den er in den 90er Jahren im Auftrag der Stadt mit Ray d'Addario geführt hat. Bei dem geschichtsträchtigen „Pokerspiel“ ging es um den Erwerb der exklusiven Fotos aus dem Justizpalast, die jetzt die Grundsubstanz des Museums „Memorium Nürnberger Prozesse“ bilden. „Ohne Ray D’Addario würde es diese Ausstellung nicht geben“, ist auch Klaus Kastner, der ehemalige Präsident des Landgerichts überzeugt.
Nürnbergs Hüter der Geschichte hat dem kleinen, etwas rundlichen Mann aus USA am Ende 50.000 Dollar auf den Tisch gelegt und konnte zufrieden sein. Das war auch Ray D'Addario, dem es letztendlich nicht darum ging, den Höchstpreis für die einmaligen Fotos herauszuschlagen. Wichtig war ihm vor allem, wie er einmal während einer seiner Besuche in Nürnberg versicherte, dass die Bilddokumente mit gebührendem Respekt behandelt werden.
„Sie wirkten so klein und unbedeutend“
Bei Diefenbacher und dessen nie erlahmendem Interesse für die Historie der Stadt war er genau an der richtigen Adresse. Ein Karton mit ungeordneten Papieren, ein paar Filmrollen und 4000 Fotos mit den dazugehörigen Negativen und Vermarktungsrechten wechselten den Besitzer.
Die ganze Welt kennt Ray D'Addarios Bilder: Göring mit der Sonnenbrille, den verwirrten Rudolf Hess. Alle hat er auf Film gebannt: die Richter und Staatsanwälte, die Sekretärinnen und Wachsoldaten, die Verteidiger, die Dolmetscher _ und die angeklagten Kriegsverbrecher, die er sich ganz anders vorgestellt hatte. „Sie wirkten so klein und unbedeutend“, schilderte er sein Empfinden, als er am 20. November 1945 den höchsten Repräsentanten des Dritten Reichs im Sitzungssaal 600 zum ersten Mal gegenüberstand. Danach „verfolgte“ er sie mit seiner Kamera auf Schritt und Tritt.
Die Gesichter der NS-Schergen und den Prozessverlauf hat er aus unterschiedlichsten Perspektiven für die Nachwelt dokumentarisch festgehalten. Ray D’Addario verwendete mitunter sogar schwer erhältliche Farbfilme, die er sich von seiner Mutter aus Übersee schicken ließ. Diese Fotos haben einen ganz besonderen weltgeschichtlichen Wert. Eher von lokaler Bedeutung sind dagegen die Aufnahmen, die Ray D’Addario in seiner Freizeit vom zerstörten Nürnberg angefertigt hat. Trotzdem zeichnet auch sie eine Einmaligkeit aus.
Die Teilnahme an der Eröffnung des „Memorium Nürnberger Prozesse“ am 21. November hätte für den US-Fotografen sicherlich nochmal ein Highlight in seinem Leben bedeutet. Doch daran war nicht zu denken: Ray D’Addario verbringt nach einem Schlaganfall und einer daraus resultierenden halbseitigen Lähmung den Rest seines Lebens in einem Pflegeheim seiner Heimatstadt.
Helmut Reister
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