Diese Flüchtlinge wollen arbeiten, dürfen aber nicht

Sie werden für die Dauer ihres Asylverfahrens zur Tatenlosigkeit gezwungen. Wie der Freistaat Migranten "mit geringer Bleibeperspektive" im Beruf ausbremst.
von  Lukas Schauer
Sie wären eine Bereicherung für ihre Chefs, doch der Freistaat verbietet ihnen die Arbeit. Die AZ zeigt ihre Schicksale.
Sie wären eine Bereicherung für ihre Chefs, doch der Freistaat verbietet ihnen die Arbeit. Die AZ zeigt ihre Schicksale. © privat

Mit dem Integrationsgesetz wollte die Bundesregierung im August 2016 Rechtssicherheit schaffen für Geflüchtete und ihre Arbeitgeber oder Ausbilder: Wer eine Lehre macht, darf während dieser drei Jahre in Deutschland bleiben. Findet er anschließend einen Job in seinem Beruf, wird er für weitere 24 Monate hier geduldet.

Das Gesetz gilt deutschlandweit – doch im Freistaat bleibt weiterhin Tausenden der Zugang zum Arbeitsmarkt versperrt. Grund: Das bayerische Innenministerium hat die Ausländerämter angewiesen, nur Migranten mit "guter Bleibeperspektive" eine Arbeits- oder Ausbildungsgenehmigung zu erteilen. Dazu gehören lediglich Menschen aus Syrien, Iran, Irak, Eritrea und Somalia.

Dieser Sonderweg hat zur Folge, dass andere Geflüchtete auf Staatskosten leben müssen, auch wenn ein Job- oder Ausbildungs-Angebot vorliegt. Anstatt sich beruflich integrieren zu können, müssen sie das monate- oder gar jahrelange Asylverfahren tatenlos abwarten.

Trotz Protesten von Helfern, aus Handwerk und Industrie beharrt die Staatsregierung auf dieser Regelung.

Dass es sich bei den Betroffenen nicht um Einzelfälle handelt, zeigen folgende Seiten. Dass auch die Kritiker zahlreich sind, zeigt diese Petition, die bis Sonntag 56 000 Menschen unterzeichnet hatten, darunter über 18.000 aus Bayern.

Die Schicksale von Sangar Saher, Christopher K. und drei weiteren arbeitswilligen Geflüchteten finden Sie auf den folgenden Seiten



Sabur Frotan: allein – und mit seinen Kolllegen in der Hotel-Küche. Foto: privat

Sabur Frotan (29) sollte heuer im Fleming’s Hotel am Münchner Hauptbahnhof eine Lehre beginnen. "Gute Azubis zu bekommen ist schwer und Sabur hat sich pfiffig angestellt und eine außergewöhnliche Leistungsbereitschaft gezeigt", sagte Küchenchef Konrad Spiller der AZ.

Doch anstatt Ausbildung hieß es Abschiebung: Sabur Frotans Asylbegehren wurde abgelehnt, der Folgeantrag ist noch in Bearbeitung, im Oktober wurde der junge Mann in Abschiebehaft genommen. Mitte Dezember sollte der Flüchtling mit dem ersten Sammelflug nach Afghanistan zurückgeschickt werden – in letzter Minute intervenierte das Bundesverfassungsgericht.

Nun wartet Sabur Frotan in einer Unterkunft in Garmisch darauf, dass über seine Klage und den Folgeantrag entschieden wird. Arbeiten darf er währenddessen nicht.



Sangar Saher (r.), hier mit Chefin Tamara Bray, wollte im Restaurant Brenner eine Ausbildung beginnen – sie wurde nicht genehmigt. Foto: Petra Schramek

Der Ausbildungs-Vertrag zum Restaurantfachmann war schon aufgesetzt und ein Praktikum im Restaurant Brenner hatte Sangar Saher (18) auch schon absolviert. Dort rechnete man fest mit dem neuen Auszubildenden und freute sich auf ihn. "Sangar ist sehr fleißig, freundlich und er spricht so gut Deutsch, dass wir ihm einen Ausbildungsplatz angeboten haben", sagt Brenner-Personalchefin Tamara Bray. Doch auch er bekam keine Genehmigung.

Hintergrund: Der Afghane hat krankheitsbedingt versäumt, eine Frist im Asylverfahren einzuhalten. Nun droht ihm die Abschiebung. Sein Anwalt hat Klage eingereicht, vor kurzem war der erste Verhandlungstermin. Entschieden wurde nichts, es fehlen noch Gutachten. Sangar muss weiter warten – und darf die ersehnte Ausbildung nicht beginnen.



Typ mit Talent: Saleh Zazai Foto: privat

Monatelang suchte Jessica Speiser nach einem Mitarbeiter für ihre Bäckerei in Waltenhofen bei Kempten und fand schließlich Saleh Zazai aus Afghanistan. "Ein dufter Typ mit echtem Talent zum Bäcker, nicht ein Mal krank und immer pünktlich", sagt sie. Deshalb bot Jessica Speiser dem Flüchtling eine Lehre an – die ihm von den Behörden verweigert wurde.

Noch schlimmer: Saleh Zazai soll abgeschoben werden. Ein Schock für den 31-Jährigen, der vor lauter Angst versuchte, sich das Leben zu nehmen. Trotzdem wurde er zum Sammelflug nach Frankfurt gebracht – doch kurz vor dem Start ließ das Verfassungsgericht die Beschwerde seines Anwalts zu. Saleh kann in Deutschland bleiben, bis über die Klage entschieden ist.

Einen Beruf ausüben oder eine Lehre machen darf er in dieser Zeit nicht: Der verhinderte Bäcker-Lehrling sitzt in einer Kemptener Unterkunft und schlägt die Zeit tot. Wie lange ist völlig ungewiss.



Ousmane Toure (21) aus dem Senegal liebt es, in der Backstube zu stehen – aber er darf nicht mehr. Foto: Alexander Augustin

Franz Hinkofer suchte lange vergeblich jemanden, der in seinem Café in Viechtach (Bayerischer Wald) eine Ausbildung zum Konditor machen möchte. Dann traf er auf Ousmane Toure. Der 21-jährige, großgewachsene Senegalese mit Rasta-Zöpfen lebt seit über zwei Jahren in Ruhmannsfelden. Er ist gut integriert, hat Freunde gefunden, spricht passabel Deutsch – und er hätte bei Hinkofer gerne eine Lehre angefangen. Doch das zuständige Landratsamt in Regen erteilt ihm keine Arbeitserlaubnis. Grund: Der Senegal gilt als sicheres Herkunftsland, wer von dort kommt und seinen Asylantrag nach dem 31. August 2015 gestellt hat, darf generell nicht in Deutschland arbeiten. "Unsere Mitarbeiter haben hier faktisch keinen Entscheidungsfreiraum", so Heiko Langer vom Landratsamt.

Derzeit ist Ousmane noch geduldet, was danach kommt: ungewiss.



"Freundlich und zuverlässig": Christopher K. Foto: privat

Für Sven Schreiber ist es eine "lose-lose"-Situation. Der Landschaftsgärtner aus Freising beschäftigt seit Monaten einen Flüchtling aus Nigeria, Christopher K. Eigentlich wollte er ihn demnächst ausbilden. Doch er darf nicht.

Der Freistaat Bayern hat etwas dagegen. Das Landratsamt hat K. die Arbeitserlaubnis entzogen, ab 16. April ist er zum Rumsitzen verdammt.

Sven Schreiber ärgert sich und verfasst einen Facebook-Post. "Ich habe selten so einen freundlichen, pünktlichen, zuverlässigen und fleißigen Mitarbeiter gehabt", schreibt er. Christopher habe sich gefreut, "dass er nach zwei Jahren Untätigkeit im Asylbewerberheim endlich wieder arbeiten durfte". So kann er für seine Frau und die zwei Kinder sorgen.

K. stammt aus Nigeria, dort floh er im Jahr 2014: Er wurde von der Terrormiliz Boko Haram verfolgt, "sie haben ihn auch gefoltert", sagt Schreiber. Christopher K.s Reise endet schließlich in Freising. "Das Berufsförderzentrum Freising kam irgendwann auf mich zu und hat mich gefragt, ob ich nicht einen Praktikumsplatz hätte", erzählt Schreiber. Er hatte einen, K. kam und arbeitete so gut in dem Garten- und Landschaftsbaubetrieb, dass Schreiber ihm eine Weiterbeschäftigung anbot.

"Alles abgesprochen mit den Behörden, die Arbeitsagentur hat sogar Geld zugeschossen", beschreibt der 45-Jährige. Christopher K. besucht einen Deutschkurs, auch auf der Berufsschule in München war er. Doch dann flattert Anfang März das Schreiben des Landratsamts ins Haus, mit dem Entzug der Arbeitserlaubnis. "Er ist am Boden zerstört, versteht nicht, weswegen ihm diese Chance verwehrt wird", sagt Schreiber. "Auch aus finanzieller Sicht gibt es eigentlich keinen Grund, jetzt muss der Freistaat Bayern für ihn und die Familie aufkommen."

Er kenne in Freising noch weitere Fälle, sagt Schreiber. Dabei gebe es die Möglichkeit, Ausnahmen zu machen.

Das Landratsamt bestätigt, dass es sich bei der Gewährung von Arbeits- und Ausbildungserlaubnissen stets um Einzelfallentscheidungen handelt: "Arbeits- und Ausbildungserlaubnisse werden insbesondere an Personen erteilt, deren Identität geklärt ist und die mit großer Wahrscheinlichkeit in Deutschland bleiben werden. Entscheidungskriterien sind die aktive Mitarbeit bei der Klärung der Identität, nachdrückliches Bemühen um Integration, straffreies Verhalten und eine hohe Bleibeprognose vonseiten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge BAMF", so ein Sprecher. Man habe zudem Anfang Februar allen Betroffenen eine zweimonatige Übergangsfrist gewährt, "um den Arbeitgebern und den Betroffenen mehr Planungssicherheit zu geben".

Eine Möglichkeit besteht noch. Im September hatte K. seine Anhörung beim BAMF, das nun über den Asylantrag entscheidet. Sollte dieser positiv ausfallen, könnte es doch noch was werden mit der Ausbildung. "Aber seit September hängen wir in der Luft", sagt Sven Schreiber. Arbeit gäbe es freilich genug.

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