Die Welt als Ersatzteillager

Montierte Wirklichkeit zwischen Grün-Oase und grauer Stadt-Wüste: „Ganz woanders“ siedelt Beate Gütschow ihre Panorama-Fotos in der Kunsthalle an
von  Abendzeitung
Landschafts-Idylle und Beton-Wüste – montiert aus Dutzenden Schnipseln: Fotos von Beate Gütschow aus der Nürnberger Schau.
Landschafts-Idylle und Beton-Wüste – montiert aus Dutzenden Schnipseln: Fotos von Beate Gütschow aus der Nürnberger Schau. © az

Montierte Wirklichkeit zwischen Grün-Oase und grauer Stadt-Wüste: „Ganz woanders“ siedelt Beate Gütschow ihre Panorama-Fotos in der Kunsthalle an

Sie macht sich die Welt, wie sie ihr gefällt. Oder Angst macht. Jedenfalls landet diese Pippi Langstrumpf des digitalen Photoshoppings immer im „Panorama-Maker“ der Manipulation. Aus bis zu 100 Einzelteilen montiert die junge Wahl-Berlinerin Beate Gütschow ihre großformatigen Fotos zusammen, die ab heute in der Nürnberger Kunsthalle zu sehen sind. Am Ende ist der Konzeptansatz vielschichtiger als seine Bild-Variationen.

„Ganz woanders“ nennt die 37-jährige Fotografin, die den Foto-Termin vor der Kunst verweigert, ihre Ortsbegehungen, die überall und nirgends sein könnten. Und in denen Menschen immer ziemlich überflüssig wirken. Ob in den grünen Oasen, die den Besucher begrüßen. Oder angesichts der betongrauen Lebenswüsten, die in den hinteren Räumen der Kunsthalle lauern. Man muss allem misstrauen, der zusammengepuzzelten Idylle, die dem Grundschema der Landschaftsmalerei des 17. und 18. Jahrhunderts folgt, und den gesampelten Versatzstücken einer zerstörerischen Gesichtslosigkeit.

Ob dieses fotografische Ersatzteillager für Sehnsucht und Schrecken wirklich der von Kunsthallen-Chefin Ellen Seifermann behauptete Gegensatz ist, mag man da durchaus bezweifeln. Zumal Gütschow, die sich der Konzept-Kunst verpflichtet fühlt und „ganz sicher nicht aus dem dokumentarischen Umfeld“ kommt, das argwöhnische „Hinterfragen des Bildes“ mit ihrer Ausbildung an der Hamburger Kunst-Hochschule förmlich inhaliert hat.

„LS“ und „S“ nennt sie lapidar ihre Werkgruppen. „LS“ steht für Landschaften, „S“ für Städte. Allegorische Todesstreifen tun sich in diesen schwarzweißen Kolossalfotos auf, mit zerschossener Stretchlimousine, melancholisch kahlem Baumstamm, trostlosem Wellblech, kaputtem Asphalt und mörderischer Architektur. „Soldier Field“ liest man auf einem brachialen Betonklotz, aus einem Parkdeck ragen riesige Auspuffrohre. Eine Lebenswüste – ausgestanden in Ruinen einer gescheiterten Moderne.

Fremdkörper sind die Menschen auch in den Rückzugsgebieten einer Natur, die einem wie gemalt vorkommt mit seinen milchigen Himmelsgewölben und Landschaftsidylle reloaded präsentiert. „8. Januar 2007, 13.49 Uhr“ steht als Geburtsminute auf dem ersten Laserdruck der Schau. Der pulverisiert mit seiner „304,4 MB“-Pixelpower gleich die Hoffnung auf wirkliche Wirklichkeit. Arkadien ist längst digital. In dieser montierten Welt sind die Müßiggänger, die picknickend und schauend das Grün bevölkern, nur Statisten. „Vielleicht ist das so in Utopien“, meint Gütschow.

Andreas Radlmaier

Kunsthalle Nürnberg (Lorenzer Str. 32): ab heute, 20 Uhr; bis 15. Juni, Di-So 10-18 Uhr, Mi bis 20 Uhr, Katalogbuch: 39,80 Euro

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