Die unverbrauchte Naivität des Königs kann man hören

Premierenanlauf am Nürnberger Opernhaus: Regisseur David Hermann inszeniert „Dom Sébastien“ von Donizetti.
von  Abendzeitung
Kein Konzepte-Verfechter, sondern Praxis-Mensch: Regisseur David Hermann, hier bei einer Probe zu „Dom Sébastien“.
Kein Konzepte-Verfechter, sondern Praxis-Mensch: Regisseur David Hermann, hier bei einer Probe zu „Dom Sébastien“. © Berny Meyer

NÜRNBERG - Premierenanlauf am Nürnberger Opernhaus: Regisseur David Hermann inszeniert „Dom Sébastien“ von Donizetti.

Düster geht’s zu in Gaetano Donizettis letzter Oper „Dom Sébastien, Roi de Portugal“, die er unter dem Eindruck seiner Syphillis-Erkrankung schrieb: Portugals junger König scheitert kläglich damit, Afrika von den Muslimen zu befreien, wird in der Heimat für tot erklärt und gerät in die Fänge der Inquisition. Lange war die Oper von den Spielplänen verschwunden, nun inszeniert sie der junge Regisseur David Hermann am Nürnberger Opernhaus. Am 2. Mai ist Premiere.

AZ: Herr Hermann, Sie kennen wahrscheinlich den Kalauer über „Dom Sébastien" als „eine Beerdigungsprozession in fünf Akten".

DAVID HERMANN: Ja, das trifft aber nur teilweise zu. Die Oper hat eine riesige Vielfalt an erzählerisch-musikalischen Ausdruckswelten, beginnt hell, positiv und dunkelt dann erst ab: von Afrika, das sehr lebendig mit europäischen Mitteln beschrieben wird, über das große Requiem und die Inquisition bis hin zum fünften Akt, wo sich die Handlung auflöst, es keinen vorhersehbaren Rhythmus mehr gibt.

Die Handlung der Oper ist krude und von Nebensträngen umrankt. Was ist der Kernkonflikt der Oper?

Die Entmachtung des blutjungen Königs Dom Sébastien. Das dauert so lange, weil er durchs Stück schlafwandelt, aber trotz aller Intrigen immer wieder von Menschen gerettet wird. Er besitzt eine unverbrauchte, frische Naivität, die man auch hört.

Was interessiert Sie an seiner Geschichte?

Ich finde spannend, was mit Menschen in einer undurchschaubaren Machtsituation wie der Inquisition passiert. Jeder reagiert anders. Außerdem steht hinter dem Stück der spanische König Philipp II. Seine Figur wird ständig angedeutet, das Geheimnis aber erst am Ende gelüftet.

Das klingt natürlich nach Verdis Oper „Don Carlos".

Es gibt tatsächlich Parallelen wie den Großinquisitor. Mit der Chor-Behandlung nimmt Donizetti zudem Verdis große Autodafé-Szene vorweg.

Beim „Dom Sébastien" handelt es sich um eine Grand Opéra mit ausufernden Text- und Musikmassen, Balletten, ständigen Ortswechseln...

...der man nur Herr wird, wenn man eingreift. Wir haben zum Beispiel die Ballette gestrichen und kommen nun auf eine Dauer von guten zweieinhalb Stunden. Die im Libretto geforderten Schauplatzwechsel sind eine kreative Herausforderung: Da wird zum Beispiel die Ausfahrt der gesamten portugiesischen Flotte gefordert. Mit Naturalismus kommt man da nicht weiter, sondern mit verschiedensten Theatersprachen.

Ihre Begeisterung für „Dom Sébastien" ist offensichtlich. Warum hat die Oper nie den Durchbruch geschafft?

Ich kann es mir nicht erklären. Man braucht in jedem Fall eine gute Fassung, muss eine so unbekannte Oper als Material ansehen, um ihr zu helfen und das Publikum nicht zu überfordern.

Während Ihres Regiestudiums und danach waren Sie Assistent von Regie-Legende Hans Neuenfels. Sieht man das Ihren Arbeiten an?

Ich glaube nicht. Das schöne an unserer Zusammenarbeit war, dass ich viel über die Intensität der Auseinandersetzung mit einem Werk gelernt habe. In dieser Dimension wurde das im Studium nicht vermittelt.

Sie scheinen der Spezialist für vergessene Opern zu sein, haben Werke wie Birdwistles „Punch and Judy", Mozarts „Ascanio in Alba" oder Schostakowitschs „Moskau, Tscherjomuschki" inszeniert.

Aber auch Repertoire wie „Eugen Onegin". Das Spannende an unbekannten Opern ist, dass das Publikum unvoreingenommen reingeht, ohne vorgefertigte Bilder, sich überraschen lässt – also Voraussetzung eines idealen Theaterabends.Interview: Georg Kasch

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