Die Über-Bayern

Unten hängt Europa, oben hält Bayern. Das neue Buch von Strauß-Intimus Wilfried Scharnagl wirbt für einen „eigenen Staat“. Franken darf dabeibleiben – vorerst.
von  Matthias Maus
Wilfried Scharnagl bei der Präsentation seines Buches "Bayern kann es auch alleine".
Wilfried Scharnagl bei der Präsentation seines Buches "Bayern kann es auch alleine". © dapd

München - Es is scho a Kreuz. Ach was! Eine Katastrophe ist das, was sich um unser geliebtes Bayern zusammenbraut. Und weil alles dem Untergang geweiht ist wegen diesem Euro, diesem Europa, deshalb wird es höchste Zeit, Konsequenzen zu ziehen – oder, wie Markus Söder vermutlich sagen würde: „das Seil durchzuschneiden“. An dem hängt unten Europa dran. Und oben hält Bayern.

Ja, so ist das aus der Sicht von Wilfried Scharnagl: „Bayern kann es auch alleine“, heißt sein neues Buch, „ein Plädoyer für den eigenen Staat“ will es sein. Es bricht sich hier ein Selbstbewusstein Bahn, das in der Strauß-Zeit gewachsen ist: „Scharnagl schreibt, was ich denke, und ich denke was Scharnagl schreibt“, zitiert der Buchrücken Franz Josef selig. Ob das noch gilt, lässt sich 24 Jahre nach dem Tod des Steuermanns nicht überprüfen.

Das Bücherl des ehemaligen Bayernkurier-Chefredakteurs (1977 bis 2001) kommt ganz harmlos daher. 186 Seiten verpackt wie in eine dieser Weißwurscht- Servietten, hübsch weiß-himmelblau rautiert. Ein Schlagbaum senkt sich – ganz offenbar – vor dem Freistaat Bayern. Und das kann gar schnell genug gehen. Schließlich herrscht in Europa „eine Entmündigungsideologie“, ersonnen und exekutiert von „europäischen Bürokraten“. Finanziert werden die – genau – von den „Menschen in Bayern mit ihrem Fleiß und ihrer Tüchtigkeit, mit ihrer Bereitschaft, Neues zu wagen und sinnvollen Fortschritt zu gestalten“.

Zahlen für das Gschwerl in Spanien, Berlin und Griechenland

Woanders gibt’s das offenbar weniger. Westlich von Aschaffenburg, östlich von Mitterfirmiansreuth, südlich von Kiefersfelden ist in Wilfrieds Welt Schluss mit Fleiß, Tüchtigkeit und Fortschritt. Mia san Opfer! Und zwar gleich zweimal, weiß der Autor, mit 74 alterswild statt altersmild: „Bayern ist Doppelmitglied in einer Transferunion“, schreibt Scharnagl, „in einer deutschen und in einer europäischen.“ Nicht nur zahlt Deutschland für das Süd-Gschwerl in Spanien, Griechenland und sonstwo. Nein, der Bayer finanziert auch die gschlamperten Berliner, Bremer, Rheinländer.

Ursache allen Übels ist der Länderfinanzausgleich, ein „Raubzug gegen Bayern“, bei dem „die Minderheit von der Mehrheit ausgebeutet wird“. Der Leser mag sich ob dieser erbarmungswürdigen Rahmenbedingungen fragen, wie Bayern – und die grenzenlos Zugereisten – das alles schaffen. Mit dem Wirtschaftswachstum, mit BMW, mit Siemens (die übrigens auch alle zugezogen sind nach dem Krieg). Irgendwas Übermenschliches muss dran sein an den Über-Bayern.

Der Hiesige ist herzensgut und weltoffen

Herzensgut jedenfalls ist er schon, der Hiesige, weltoffen sowieso. Die Liberalitas Bavariae beschwört Scharnagl gefühlt ein Dutzend mal, die Gastfreundschaft, ja freilich. Aber jetzt muss Schluss sein: „Einen Paukenschlag“ empfiehlt der Autor, und der Bayerischen Staatsregierung, dass sie „verbindlich erklärt, sie werde die Zahlungen zum Länderfinanzausgleich zum 1. Januar einstellen. Oder noch besser, umgehend.“

Mancher mag sich erschrecken ob solcher Töne. Aber auch beim schäumenden Scharnagl gilt, was das bayerische CSU-Brutalgepolter oft so ermüdend macht. Dem Bellen folgt kein Biss: Der – Berliner! – Quadriga-Verlag nennt das Bücherl eine „Streitschrift“. Aber die pfeilgradkonsequente Forderung, die Zugbrücken hochzuziehen, die verkneift sich der Autor.

Kann Dobrindt Außenminister?

Wär ja vielleicht auch ein wenig zu kompliziert: Visa- Pflicht oder nicht? Wer darf rein, wer muss raus aus dem bayerischen Paradiese? Gibt’s Grenzkontrollen zwischen Neu-Ulm und Ulm? Exportschranken für Audi? Neue Steuern? Wird Dobrindt Außenminister? Und welche Währung darf’s denn sein? Die D-Markwohl kaum, die ist Deutsch und nicht bayerisch!

Nur: Sorgenmachen sollten sich schon einige. Besagter Markus Söder zum Beispiel. Franken, das von Napoleon mit Bayern zwangsvereinigte, mag Scharnagl gar nicht missen. Aber was, wenn die „Rückkehr beweglicher Grenzen“, die der Autor beschwört, nicht an aktuellen Bayern- Grenzen halt macht? Wer mag Scharmützel zwischen Altbayern und Franken ausschließen? Mit Mistgabeln und Dreschflegeln? Wer weiß. Man legt das gebrauchte Buch beiseite wie besagte Weißwurscht-Serviette. Wenigstens der gröbste Baaz ist von den Fingern. Es bleibt ein Völlegefühl – ein ungutes.

 

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