Die süße Rache nicht artgerechter Haltung
NÜRNBERG - Swing-Darling Roger Cicero schmiss sich mächtig schmachtend an sein Nürnberger Publikum ran
Die Welt will betrogen werden, Roger Cicero erst recht. Denn aus ramponierten Beziehungen und anderen Frustbeulen lässt sich ja so prima seufzende und stichelnde Verständnisinnigkeit herstellen: Das verbogene Glück, die verlorene Balance, der lästige Macker, der zahnlose Revoluzzer – der Sänger, dessen Stimme stets mit dem Mund um die Wette strahlt, bringt alles unter seinen Rat-Pack-Hut. Der ist vor der Pause Knallrot und danach Pechschwarz – versündigen muss sich aber niemand beim jugendfreien Swing-Schmiss mit eingebautem Augenzwinkern. Berauschte Begeisterung beim Nürnberger Antrittsbesuch in der Nürnberger Meistersingerhalle, wo Rampen-Rotkäppchen Cicero die Premiere unangemeldeter Spontan-Gesänge bestaunte und sich für’s späte Debüt entschuldigte. Alles Roger eben.
Die Wallfahrt hatte etwas Liturgisches. Aufstehen und hinsetzen wie im katholischen Gottesdienst, je nach Grad der Ergriffenheit. Das muntere Kerlchen, das bis in die Kurven von Show-Treppe und Licht-Traversen Schwung und Eleganz signalisiert, schmeißt sich aber auch ran. „Frauen regieren die Welt“. Na gut, erst in der Zugabe, aber Judith aus Lauf darf beim Rosenkrieg-Duett ihre DSDS-Dosis abholen, der Star posiert im Parkett zum Erinnerungsfoto und singt souverän, aber wandlungsarm. Alte Entertainment-Schule, der man nach Sammy Davis Jr. und Robbie Williams keine Drittkarriere mehr zugetraut hätte: „Man muss halt gut zu leben wissen mit Kompromissen“. „Murphys Gesetz“ vielleicht oder Triumph „nicht artgerechter Haltung“? Frank Ramond, der Gedankenlieferant von Annett Louisan, versorgt auch Roger Cicero mit listigen Liedern für die Zeitgeisterbahn. Die traumwandlerische Big Band reagiert wie mit Servolenkung: Rückwärts einparken in die Vergangenheit wird zum Kinderspiel. Andreas Radlmaier
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