Die Risiken einer Commerzbank-Übernahme durch Unicredit: "Unfreundliche Attacke"

Die Bundesregierung hat ihre Anteile verkauft, nun könnte die Unicredit die Commerzbank übernehmen. Ob das gut oder schlecht ist, ist umstritten. Doch die Übernahme hätte Konsequenzen.
von  Heidi Geyer, Alexander Sturm, Andreas Hoenig
Im Falle einer Übernahme der Commerzbank soll etwa der Standort Frankfurt, hier im Bild der Commerzbank Tower, gesichert werden, rät eine Expertin.
Im Falle einer Übernahme der Commerzbank soll etwa der Standort Frankfurt, hier im Bild der Commerzbank Tower, gesichert werden, rät eine Expertin. © IMAGO/Florian Gaul

Frankfurt – Ein Mann steht mit zwei Tauen in den Händen da und macht Sportübungen. Sein Gesicht ist vor Anstrengung verzerrt, er scheint sogar laut zu schreien. „Roy hat seine Zukunft fest im Griff“, schreibt die Commerzbank als Werbeclaim unter das Bild von Roy auf ihrer Homepage.

Ironischer kann dieser Spruch derzeit kaum wirken. Denn wenn die Commerzbank eine Sache ganz sicher nicht im Griff hat, dann ist das ihre eigene Zukunft. Wobei Kunden weniger um ihre Geldeinnahmen fürchten müssen als die Bank um ihre Mitarbeiter und ihre bloße Existenz. Denn die Unicredit will die zweitgrößte deutsche Bank übernehmen.

Deutsche Milliarden retteten die Commerzbank 2009 während der Finanzkrise

Während der Finanzkrise 2009 stieg der Bund bei der Commerzbank ein, war sogar größter Aktionär. Die Bank hatte sich damals verspekuliert, als sie mitten in der Krise die Dresdner Bank übernahm. Der Staat rettete die Commerzbank im Rahmen des Finanzmarktstabilisierungsfonds mit rund 18,2 Milliarden Euro Steuergeld vor dem Kollaps.

Zurückbezahlt wurden der Finanzagentur zufolge bisher rund 13,15 Milliarden Euro. Heute gilt die Commerzbank wieder als profitabel und stabil.

Plötzlich hielten die Italiener 9 Prozent der Anteile – ohne dass die Bundesregierung davon wusste

Doch jüngst verkaufte die Regierung ihre Anteile. Die italienische Bank Unicredit, zweitgrößte Bank im Europa, griff zu und sicherte sich in der vergangenen Woche 4,49 Prozent. Parallel dazu kaufte Unicredit an der Börse weitere 4,7 Prozent, zum Teil über sogenannte Derivate.

Auf diesem Weg konnte die gültige Meldeschwelle von drei Prozent übergangen werden, der Kauf blieb also geheim. Ein schlauer Schachzug der Unicredit und eine verblüffte Bundesregierung – denn plötzlich hielten die Italiener gut neun Prozent.

Inzwischen sind es noch mehr geworden: Heute hält Unicredit 21 Prozent und will sogar auf knapp 30 Prozent aufstocken, wie sie zu Beginn der Woche mitteilte und auch bei den Behörden beantragte. Alles deutet darauf hin, dass die Unicredit die Commerzbank in einer feindlichen Übernahme schlucken will.

Kanzler Scholz spricht von "unfreundlicher Attacke"

Noch aus New York, wo der Kanzler zu Wochenbeginn hingereist war, schimpfte Olaf Scholz (SPD) über die „unfreundliche Attacke“. Und jetzt schaut die Regierung offenbar zu. „Das ist eine Angelegenheit vom Vorstand und Aufsichtsrat der Commerzbank“, antwortete Finanzminister Christian Lindner (FDP), als er gefragt wurde, was die Bundesregierung tun könne, um die italienische Großbank abzuhalten.

„Die Bundesregierung hat ja sehr deutlich formuliert, dass sie ein Interesse daran hat, dass es eine breite Streuung des Eigentums der Commerzbank gibt“, sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt.

Das Ergebnis sei aber das genaue Gegenteil. Dies werfe Fragen auf, die von der Bundesregierung jetzt beantwortet werden müssten. Die Ampel-Regierung habe eine Schwächung des Bankenstandorts Deutschland in Kauf genommen. Dobrindt sagte: „Es bleibt also offen, ob es sich hier schlichtweg um einen folgenschweren Fehler oder Unvermögen handelt oder Schlimmeres bei der Bearbeitung dieser Thematik.“

Die Gewerkschaft Verdi lehnt die Übernahme ebenso ab, weil sie einen massiven Stellenabbau vermutet. Frederik Werning, Verdi-Konzernbetreuer und Mitglied im Aufsichtsrat der Commerzbank, warnt im Gespräch mit der AZ vor einem massiven Stellenverlust, spricht sogar von „nur einem Drittel der Belegschaft“, das übrig bleiben könnte.

Besonders Unicredit-CEO Andrea Orcel ist Verdi ein Dorn im Auge. „So jemand Unseriösem können wir nicht die Belegschaft anvertrauen. Aber auch nicht die Kunden“, sagt Werning. Denn Orcel hatte betont, er wolle keine feindliche Übernahme, sofern die Bundesregierung nicht zustimme. „Binnen 72 Stunden sah das aber ganz anders aus“, sagt Werning.

Nicht nur die Mitarbeiter, der gesamte Mittelstand könnte laut Werning betroffen sein, da die Commerzbank einer seiner Hauptfinanzierer ist. „Gerade in Zeiten von Unsicherheiten wie der Ukraine-Krise wäre es wichtig, den Kurs über Finanzierungen in Deutschland zu bestimmen.“

Als warnendes Beispiel sieht er die Hypo Vereinsbank, die 2005 von der Unicredit geschluckt worden war. Versäumnisse sieht er in der Vorbereitung des Verkaufs durch die Politik, ist aber auch froh, dass Olaf Scholz sich inzwischen klar positioniert hat.

Ökonomin: Andrea Orcel polarisiert

In der Commerzbank brodelt es ebenso. Laut „Financial Times“ sehen Führungskräfte der Commerzbank gar eine Bedrohung für Unternehmen in Europa, weil Entscheidungen über Kredite und das Risikomanagement ins Ausland verlagert werden könnten. Somit wären womöglich deutsche Kunden benachteiligt. Vor- und Nachteile sieht Giulia Mennillo, Wissenschaftlerin an der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, bei der möglichen Übernahme.

Einerseits höre man stets die Forderung, dass eine Banken-Union in Europa nötig sei, um den Markt zu stärken. Zumal die Commerzbank schon lange als Übernahmekandidat gelte, sagt die promovierte Ökonomin der AZ. „Andererseits kommt nun der Wirtschaftsnationalismus heraus“, sagt Mennillo.

Die Gretchenfrage laute: „Wie europäisch sind wir wirklich?“ Definiert müsste werden, was im Falle einer Übernahme im deutschen Interesse liege, etwa die Sicherung des Standorts Frankfurt und der Mittelstandsfinanzierung. Dennoch warnt Mennillo davor, sich den Nationalismen hinzugeben. 

"Wir haben in Deutschland Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Sollte die Übernahme der Commerzbank dazukommen, hätten wir noch einen weiteren Player, der den Wettbewerb belebt", sagt Mennillo. Die Wissenschaftlerin räumt jedoch auch ein, dass der Ton und die Art von Andrea Orcel einen polarisierenden Effekt hätten.

Die Commerzbank setzt sich indes höhere Ziele: Die Eigenkapitalrendite soll bis 2027 auf mehr als zwölf Prozent steigen und damit höher als bisher geplant, teilte der Dax-Konzern mit. Zudem will die Commerzbank mehr Geld an die Anteilseigner ausschütten und die Erträge nach oben schrauben.

Inmitten des Übernahmekampfs besetzt die Commerzbank vorzeitig ihre Konzernspitze neu. Die künftige Vorstandschefin Bettina Orlopp kann schon kommende Woche das Ruder übernehmen. Der bisherige Vorstandschef Manfred Knof tritt zum Monatsende ab.

Nach einem ersten direkten Gespräch vor dem Hintergrund einer möglichen Übernahme hielt sich die Commerzbank bedeckt. „Zu den konkreten Inhalten vertraulicher Gespräche äußern wir uns grundsätzlich nicht“, hieß es am Freitag von Seiten der Commerzbank. 

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