Die katholische Kirche versinkt im Chaos

MÜNCHEN/REGENSBURG - Anonyme Anrufer beschimpfen den Stadtpfarrer,ein ohrfeigender Papstbruder – und ein Erzbischof, der sich für alles schämt – die Katholiken kommen einfach nicht mehr zur Ruhe.
Nach den Enthüllungen über Fälle von Missbrauch und Gewalt in kirchlichen Einrichtungen sehen sich Priester teilweise pauschalen Anfeindungen ausgesetzt. Stadtpfarrer Rainer Schießler von St. Maximilan berichtet von „wenigstens einem Anruf am Tag“, bei dem er „übelste Beschimpfungen“ zu hören bekäme. Nach dem Motto: „Euch Pfarrern gehört der Schwanz abgeschnitten.“ Aber er wisse sich zu wehren, sagt Schießler. „Bislang haben immer die anderen aufgelegt.“
Die Kirche kommt nicht zur Ruhe. Für erneute Aufregung hat jetzt ein Bekenntnis von Papstbruder Georg Ratzinger gesorgt. Der frühere Regensburger Domkapellmeister räumte ein, selbst Chormitglieder der Domspatzen geschlagen zu haben. „Ich habe am Anfang wiederholt auch Ohrfeigen ausgeteilt“, sagte Ratzinger, der von 1964 bis 1994 im Amt war. Er gab auch zu, von Prügeln in der Internatsvorschule gewusst zu haben. Pikant: Bislang hatte der 86-Jährige bestritten, von Schlägen und Übergriffen etwas mitbekommen zu haben. „Ich habe davon nichts gewusst“, sagte er der Vatikan Zeitung „Osservatore Romano“.
Was der Papstbruder nun erzählt, klingt ganz anders: „Mir war bekannt, dass Direktor M. sehr heftige Ohrfeigen verteilt hat.“ Schüler hätten ihm davon erzählt. „Aber ihre Berichte sind bei mir nicht so angekommen, dass ich glaubte, etwas unternehmen zu müssen.“ Heute verurteile er die Prügel umso mehr. „Gleichzeitig bitte ich die Opfer um Verzeihung.“ Von den bekannt gewordenen Fällen sexuellen Missbrauchs in den späten 1950er und frühen 1960er Jahren habe er nichts gewusst. „Bei uns im Haus ist über diese Dinge nie gesprochen worden“, sagte Ratzinger.
Klare Worte findet der Münchner Erzbischof Reinhard Marx. Er bekannte im Münchner Merkur angesichts der Missbrauchsfälle: „Ich empfinde Scham.“ Zum Thema Aufklärungsbereitschaft und Vertuschung sagte er: „Es gab sicher Tendenzen in der Vergangenheit, das Ansehen der jeweiligen Institution nicht zu beschädigen.“
Christine Rudolf-Jilg von „Amyna - Institut zur Prävention von sexuellem Missbrauch“ in München beurteilt die aktuelle Aufklärungsarbeit der Kirche als „sehr wechselhaft“. Es werde immer wieder betont, dass die Vorfälle weit zurückliegen. „Gut wäre, wenn jetzt von Seiten der katholischen Kirche schnell ein Signal ausginge, dass eine Aufdeckung auch durch derzeit Betroffene von sexueller Gewalt erwünscht und gewollt ist.“
Stadtpfarrer Schießler findet es zwar richtig, dass in der aktuellen Debatte viel hinterfragt wird. „Es ist gut, dass man uns nicht in Ruhe lässt. Aber das Ganze dürfe nicht zum Haberfeldtreiben werden. Er verwehrt sich gegen Generalverdächtigungen. „Die Kirche ist viel mehr als die paar Päderasten, die ihren Ruf ruinieren.“ lj