Die irre Flucht: Ein einziges Rätsel

FÜRSTENFELDBRUCK - Nach dem Fang des Millionendiebs Sven Kittelmann: Den Ermittlern und der Öffentlichkeit stellen sich jede Menge Fragen. Eine davon: Riskiert der 32-Jährige die Höchststrafe, weil er das Geldversteck nicht verraten will?
Erst die abenteuerliche Flucht um die halbe Welt – 20000 Kilometer bis in die Karibik und wieder zurück. Jetzt sitzt Sven Kittelmann eingepfercht auf ein paar Quadratmetern in einer Zelle der JVA in Stadelheim. Ein Schock für einen Menschen, der nie zuvor im Gefängnis gesessen hat. Die Fahnder der Kripo Fürstenfeldbruck hoffen, dass diese Erfahrung dem Millionendieb schon bald die Zunge lockern wird.
Was passiert jetzt mit ihm?
Vernommen wird Kittelmann momentan nicht. Er zeigt sich gegenüber der Polizei wenig kooperativ und verweigert jegliche Aussage. Die Vernehmungsexperten der Kripo setzen auf eine Zermürbungstaktik. Der 32-Jährige soll erst einmal im eigenen Saft schmoren. Und dazu ist die graue, triste Routine einer Haftanstalt genau richtig. Nach Monaten der Flucht, der Aufregung, der Rast- und Ruhelosigkeit ist Kittelmann jetzt ganz alleine mit sich und der Angst vor der Zukunft. Ihm drohen immerhin bis zu zehn Jahre Knast wegen besonders schweren Diebstahls.
Wie lebt er in der JVA?
Kittelmann wurde auf der Krankenstation in einer Gemeinschaftszelle untergebracht. „Eine reine Vorteilsannahme“, betont Jochen Menzel, Vizedirektor der JVA. Der Gefangene müsse sich erst an das Leben im Gefängnis gewöhnen. Er sei insgesamt aber unauffällig und füge sich problemlos in den Anstaltsalltag ein, heißt es.
Wie ist sein Tagesablauf?
Morgens um 6.30 Uhr werden die Häftlinge in Stadelheim geweckt. Anschließend gibt es Frühstück mit frischem Kaffee. Brot, Marmelade, Käse (je nach Speiseplan) erhalten die Gefangenen bereits am Vortag auf ihre Zellen. Gegen 7 Uhr rücken die normalen Häftlinge dann zur Arbeit aus. Sven Kittelmann bleibt dagegen auf der Krankenstation. Ein Ermittlungsrichter hat aber bereits seine Zustimmung erteilt, dass Kittelmann künftig arbeiten darf. Zwischen 11 und 12 Uhr gibt es in der JVA Mittagessen. Am Nachmittag nach 15 Uhr sind Hofgang und anschließend Körperpflege, Duschen etc. angesetzt. Um 17 Uhr werden die Gefangenen wieder in ihren Zellen eingeschlossen. Anschließend haben sie Freizeit. Jeder Gefangene darf am Tag drei Zeitungen lesen, dazu Bücher aus der Bibliothek bestellen. Wer will, kann auch Fernsehen. Um 22 Uhr heißt es dann für Kittelmann & Co. Licht aus und Nachtruhe in Stadelheim.
Wie geht es bei den Ermittlungen weiter?
Den Fahndern brennen eine Menge Fragen unter den Nägeln. Doch sie sind geduldig, weil sie wissen, dass die Zeit für sie arbeitet. „Der Verdächtige sitzt, das ist erst Mal wichtig“, betont Polizeisprecher Hans-Peter Kammerer. „Der Rest wird sich zeigen.“
Wo steckt die Beute?
Knapp 15 Monate war Sven Kittelmann auf der Flucht, doch bei seiner Festnahme hatte er weniger als 20000 Euro dabei. Wo der Rest steckt, weiß niemand. Sven Kittelmann könnte es vergraben haben – ähnlich wie es damals der Entführer des Industriellensohnes Richard Oetker tat. Der Millionendieb Ingo S. (40) beispielsweise, der mit 7,2 Millionen 2005 nach Kroatien verschwand, hatte das Geld im Fluchtwagen in einer ungesicherten Garage einer Hotelanlage geparkt.
Warum schweigt der Millionendieb?
Sven Kittelmann hofft offenbar auf einen Deal mit den Ermittlungsbehörden. Strafmilderung gegen ein umfassendes Geständnis, in dem er dann auch das Millionenversteck verrät. „Zeigt sich der Beschuldigte kooperativ, wirkt sich das positiv aus“, erläuterte Rüdiger Hödl, Chef der Staatsanwaltschaft München II.
Wie viele Jahre Gefängnis drohen ihm?
Das Strafmaß liegt zwischen drei Monaten und zehn Jahren. Mancher Millionendieb kam glimpflich davon: Matthias M. (42) beispielsweise, der 2005 in Dachau 2,1 Millionen Euro aus dem Tresor seiner Firma klaute, wurde vom Münchner Landgericht zu knapp fünf Jahren verurteilt. Ingo S., der eine Geldtransportfirma in Fürstenfeldbruck um 7,2 Millionen beklaute, wurde im Mai 2006 zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Bei guter Führung könnte die Strafe auch im Fall Kittelmann nach zwei Dritteln der Haftzeit zur Bewährung ausgesetzt werden.
Riskiert er die Höchststrafe für die Millionen?
Die Ermittler schließen nicht aus, dass der erst 32-Jährige lieber länger ins Gefängnis geht und dafür das gestohlene Geld behält. Zielfahnder würden sich nach der Haftentlassung an seine Fersen heften. Er hätte dann zumindest eine kleine Chance, mit dem Geld unterzutauchen.
Wer könnte Kittelmann zur Vernunft bringen?
Dass Richter bei uneinsichtigen Angeklagten im Strafmaß nicht zimperlich sind, weiß auch Rechtsanwalt Maximilian Pauls aus dem bekannten Münchner Verteidiger„Stall“ Bossi. Er hat den Untersuchungshäftling mittlerweile mehrfach getroffen und will Kittelmann dazu raten, sein Schweigen zu brechen. „Als seriöser Strafverteidiger werde ich meinem Mandanten die Offenlegung des Geldverstecks empfehlen“, sagte Pauls am Freitag.
Was passiert, wenn das Geld nicht mehr auftaucht?
In der Regel sind die bestohlenen Firmen versichert. Die Unternehmen versuchen sich das Geld allerdings später beim Dieb zurückzuholen – und zwar mit Zinsen!
Die gestohlenen Millionen wiegen rund 100 Kilogramm. Wie konnte Kittelmann damit um die halbe Welt fliehen?
Die vielleicht pikanteste Frage. Von Frankreich aus fuhr er mit der Fähre nach Algerien, zurück nach Spanien und von dort aus per Flugzeug in die Dominikanische Republik. 20000 Kilometer, auf denen er mehrfach von Grenzpolizisten kontrolliert worden sein muss. Doch niemand hat ihn erkannt.
Wie ist ihm dieses Kunststück gelungen?
Er sei im Trubel der Urlaubszeit schlicht durchgewitscht, vermutet man in Justizkreisen. Völlig unklar ist dabei, ob der Millionendieb mit gefälschten Papieren reiste. Hätte er es trotz eines internationalen Haftbefehls geschafft, mit seinem Pass mehrfach aus einem Schengen-Land unbehelligt aus- und wieder einzureisen, wäre dies eine Riesen-Blamage für die europäischen Sicherheitsbehörden.
Ralph Hub