Die irre Flucht des Millionendiebs

Die spektakulärste Flucht der letzten Jahre endete vor dem Klo des Interregios Nürnberg-Dresden, Höhe Pegnitz. Ein Jahr, zwei Monate und drei Tage hatte der Millionendieb Sven Kittelmann (32) die Polizei zum Narren gehalten. Die Chronik einer abenteuerlichen Flucht.
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Ein dicker Fisch: Die Polizei in Fürstenfeldbruck berichtet über die Festnahme von Sven Kittelmann.
Mike Schmalz 3 Ein dicker Fisch: Die Polizei in Fürstenfeldbruck berichtet über die Festnahme von Sven Kittelmann.
Millionendieb Sven Kittelmann nach seiner Festnahme
Polizei 3 Millionendieb Sven Kittelmann nach seiner Festnahme
So transportierte der Dieb einen Teil der Beute
Polizei 3 So transportierte der Dieb einen Teil der Beute

MÜNCHEN - Die spektakulärste Flucht der letzten Jahre endete vor dem Klo des Interregios Nürnberg-Dresden, Höhe Pegnitz. Ein Jahr, zwei Monate und drei Tage hatte der Millionendieb Sven Kittelmann (32) die Polizei zum Narren gehalten. Die Chronik einer abenteuerlichen Flucht.

Der Thüringer raste mit Auto, Schiff, Flieger und Zug durch fünf Länder und drei Kontinente. Am Mittwoch um 10.45Uhr war die Flucht nach 20000 Kilometern zu Ende: Zwei Schleierfahnder nahmen ihn im Zug fest. Jetzt sitzt der Dieb der 3,6 Millionen Euro in Stadelheim. Doch wo das Geld ist, verrät er nicht.

Purer Zufall – der Hofer Schleierfahnder Germar Forst (47) hatte sich den Meisterdieb aus Sonneberg im Großraumabteil aus 100 Leuten rausgepickt. Einfach so. Kittelmann saß in Fahrtrichtung links in der Mitte des Waggons, sagt Forst. „Er sah aus dem Fenster, dann gab er uns seinen Personalausweis.“ Zehn Minuten später holte Germar Forst, er ist Polizist seit 1979, seine Handschellen raus – und fing den dicksten Fisch seiner Karriere.

Den Kollegen mit einer List weggelockt

„Wir hätten ihn gerne selber geschnappt“, sagte der Leiter der Kripo Fürstenfeldbruck, Manfred Frei. Schließlich ist es sein Fall: Kittelmann hatte am 20. Januar 2007 bei Sulzemoos den Geldtransporter mit den Millionen gestohlen. Damals hatte er auf dem Autobahnparkplatz seinen Kollegen überredet, kurz nach draußen zu gehen. Er müsse telefonieren, sagte Kittelmann. Als der andere ausstieg, schlug der aus Sonneberg in Thüringen stammende Geldfahrer die Beifahrertür zu und haute ab.

Die Polizei rekonstruierte die Flucht wie folgt: Zehn Kilometer weiter, an der Autobahnausfahrt Dachau/Fürstenfeldbruck, lud er die Millionen in den Kofferraum eines bereit gestellten Ford Focus. Über Mulhouse und Strasbourg gelangte er nach Marseille.

Mit der Fähre nach Algier

Dort schiffte er sich am 22. Januar auf einer Fähre ein. Ziel: Algier, Nordafrika. Den Fluchtwagen versteckte er in der Nähe des Fährhafens. Da er kein Visum hatte, musste er am selben Tag zurückkehren – diesmal fuhr Kittelmann nach Alicante, Spanien.

Die Polizei erfuhr davon erst Ende April. In der Zeit hatte die Ermittlungsgruppe „Sven“ 1200 Spuren ausgewertet. Ohne Erfolg. Selbst „Aktenzeichen XY“ und eine Belohnung von 75000 Euro konnten daran nichts ändern.

Einmal Domrep und zurück

Kittelmann aber, die diebische Elster von Thüringen, floh weiter nach Madrid. Von dort flog er sogar in die Dominikanische Republik und wieder zurück. Dann versteckte er sich in Tschechien. Wo genau, weiß die Polizei nicht.

Kurz vor seiner Festnahme war Kittelmann in Karlsruhe gewesen – zum Arzttermin. Laut Zugfahrkarte war er von Zwickau mit dem Zug dorthin gefahren. Nach Zwickau wollte er am Mittwoch auch wieder zurück.

Unrasiert und fettige Haare

Dann kam Germar Frost mit seiner Spürnase. „Ich habe ihn einfach ausgesucht“, sagt der Vater von zwei Kindern. „Er fiel ins Spektrum.“ Kittelmann sah im Grunde ziemlich verdächtig aus: Unrasiert, seine Haare waren verstrubbelt und fettig. Kein feiner Anzug, keine teure Armbanduhr. Forst gibt zu: „Wäre er gepflegter gewesen, hätte ich ihn vielleicht nicht kontrolliert.“

Germar Forst dachte sich selbst dann nichts, als er Kittelmanns Namen las. Er ließ den Ausweis von der Zentrale überprüfen – da kam heraus, dass Herr Sven Kittelmann international zur Fahndung ausgeschrieben war. Bingo.

Dann las er eine Zeitung

Forst und Kollege Jörg Zeitler nahmen ihn mit in das Zwischenabteil des Interregios. „Wir fragten ihn, ob er schon einmal etwas mit der Polizei zu tun hatte“, sagt Forst. „Er sagte: Nee.“ Sie durchsuchten seine Jacke und seinen schwarzen Rucksack und fanden Geldbündel, eingewickelt in Plastikfolie und braunem Paketband: etwa 10- bis 20000 Euro. Die Zivilpolizisten nahmen Kittelmann in ihre Mitte und setzten sich auf die Klappsitze. „Er war ganz ruhig und ließ alles über sich ergehen. Dann nahm er sich eine Zeitung und las.“ Die drei fuhren eineinviertel Stunden schweigend nach Hof. „Hin und wieder ging jemand auf die Toilette“, sagt Forst. „Ansonsten hat niemand was bemerkt.“

Forst rief die Polizei Fürstenfeldbruck an. Die holte Kittelmann ab. Nach einer kurzen Vernehmung wurde Kittelmann in die JVA Stadelheim gebracht – er sitzt jetzt in U-Haft und wartet auf seinen Prozess. Jetzt sucht die Polizei nach der Beute. Kittelmann hat ihnen noch nicht verraten, wo er die 3,6 Millionen Euro gebunkert hat.

Und Germar Forst? Der ging am Mittwochabend heim zu seiner Familie – kein Bier, kein Schampus, keine Party. „Meine Frau hat sich für mich gefreut“, sagt er. „Sonst war’s an diesem Abend aber kein großes Thema mehr.“

Thomas Gautier

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