Die geballte Lust auf mehr

Kulturgeschichts-Vielfalt für Dürer & Co wie nie: Das „Germanische“ bettet seine Hausheiligen in ein blaues Labyrinth – 1000 Objekte für 300 Jahre
von  Abendzeitung
Begrüßungshinweis auf „Neue Welten, neue Zeiten“: Der Behaim-Globus ist an seinen alten Platz in den Galeriebau zurückgekehrt. Im Hintergrund das Schlüsselfelder Schiff.
Begrüßungshinweis auf „Neue Welten, neue Zeiten“: Der Behaim-Globus ist an seinen alten Platz in den Galeriebau zurückgekehrt. Im Hintergrund das Schlüsselfelder Schiff. © Berny Meyer

NÜRNBERG - Kulturgeschichts-Vielfalt für Dürer & Co wie nie: Das „Germanische“ bettet seine Hausheiligen in ein blaues Labyrinth – 1000 Objekte für 300 Jahre

Hape Kerkeling hat sie doch nicht erfunden, die Jakobsweg-Erleuchtung mit dem „Ich-bin-dann-mal-weg“-Fähnchen. Gleich im ersten Kabinett rechts, ist der Beweis, wo der wollene Pilgermantel des Nürnbergers Stephan Praun nebst Schuh-Souvenir (datiert auf 1571) gezeigt wird – als Symbol eines Bürgertums mit Prestigebewusstsein. Da hat der Besucher, der vom Foyer weiterhin diesen Zugang zur sanierten Dauerschau im Galeriebau-Obergeschoss (AZ berichtete) nehmen sollte, den Behaim-Globus und das goldschimmernde Schlüsselfelder Schiff (nun vereint im Bedeutungsduell) schon passiert. Und damit die an der Wand fixierte Botschaft, dass „Neue Welten, Neue Zeiten“ hereingebrochen sind fürs Germanische Nationalmuseum. Ein Massenstart der Hausheiligen als Weckruf für alle Kunstpilger: Wir sind dann mal da! Am Mittwoch für 1100 geladene Gäste, ab Donnerstag fürs Normalvolk.

An den Katalogen kann man Bedeutung auch ablesen. Der Wälzer, der die Epochen „Renaissance Barock Aufklärung“ im Sprung von der Dürerzeit bis zum Rokoko-Schäferspiel umfasst, wiegt locker drei Kilo. Macht drei Gramm pro Objekt. Die entwickeln beim Abschreiten gerade der besitzerstolzen Hauptachse mit ihren Meisterwerken wesentlich mehr Schwerkraft. Dass die für 5,2 Millionen Euro realisierte Neukonzeption, die verschiedene Medien von der Gutenberg-Bibel bis zur Patrizier-Goldhaube, von der Dose fürs Bischofsherz bis zum weiß schimmernden venezianischen Glas überkreuzt mit Geschmacksströmungen und ihren Gegenmodellen, von der Konservierung und der räumlichen Kapazität her „unweigerlichen an Grenzen“ stößt, wird in diesem 564-Seiten-Buch durchaus eingeräumt. Projektleiter Daniel Hess und sein Team hielten dennoch mehr von der Lust auf mehr als vom Mut zur Lücke.

Da helfen nur Mehrfachbesuche und höchste Konzentration. Besonders beim mittigen Gang durchs Blau der Wände. Der setzt mit Dürer und dem AD-Kult ein, findet in den fabelhaften Altdorfern-Tafeln der Florianslegende und der wiedervereinten Sigismund-Sebastian-Retabel von Hans Burgkmair Höhepunkte in dieser himmelfahrtsreichen Region mit Madonnen-schwemme und Heiligenschein-Sein, der dann durch Lucas Cranach mit dem Löwenrachen als Lügendetektor fürs treulose Weib, Bartholomäus Bruyns Halbakt-Variante der Mona Lisa ins Irdische weist.

Der geballte Bilderfilm wird gestoppt im Raum, der die „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ um 1600 betont (wo der bislang eingemottete goldene Trientiner Rosenkranz-Altar auf eher rückwärtigen Gobelin trifft). Danach trumpfen die Holz-Evangelisten des Ehrgott B. Bendl als Vorbote des Barock-Gedonners auf, wo der greise Gottvater über der Tür hängt und ein Entwurf fürs Kuppelfresko von Kloster Ettal noch völlig ohne Missbrauchsverdacht auskommt.

Der Rundgang durch 33 Räume – als Rückzugsgebiet gedacht – hält sich mit Effekt-Inszenierung eher vornehm zurück. Glänzt mit punktgenauen Beschreibungen und entwickelt besonders in den Kabinetten (ja, auch Rembrandt hat dort sein neues Zuhause) erhellende Verbindungen in den Zeit-, Pionier- und Erfindergeist. Auch die Sammlerfamilie Prauns aus Nürnberg findet man da. Die mit ihrer berühmten Kunst- und Wunderkammer, Vorläufer des Museums, Spuren hinterlassen hat. Und mit einem spanischen Pilgermantel natürlich. Andreas Radlmaier

Germanisches Nationalmuseum (Kartäusergasse 1), ab Donnerstag. Katalog: 49 Euro

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