Die Frauen von Aichach – Historiker erforscht Schicksal von Frauen zur NS-Zeit

Verdrängt, vergast und fast vergessen: Den während der NS-Zeit inhaftierten Frauen soll bald ein Denkmal gewidmet werden.
von  Ruth Schormann
Die JVA Aichach heute. Zur Zeit des Nationalsozialismus sind dort Kommunistinnen, "Asoziale", aber auch einfach arme Frauen inhaftiert - und teilweise nach Auschwitz deportiert worden.
Die JVA Aichach heute. Zur Zeit des Nationalsozialismus sind dort Kommunistinnen, "Asoziale", aber auch einfach arme Frauen inhaftiert - und teilweise nach Auschwitz deportiert worden. © picture alliance/dpa

Tausende Frauen, Tausende Schicksale, fast vergessen: An die rund 2.000 Frauen der Justizvollzugsanstalt Aichach, dem bereits zur NS-Zeit größten Frauengefängnis in Bayern, die zu dieser Zeit dort inhaftiert waren, erinnert wenig.

Gebaut war die Anstalt für 500 Insassen. Prominentes Beispiel: die Architektin Margarete Schütte-Lihotzky aus Wien, die als Erfinderin der modernen Einbauküche gilt. Sie überlebte die Zeit in Aichach.

Doch wer sind die unbekannteren Frauen, was ist über ihr Schicksal bekannt? Diesen Fragen ist Historiker Franz Josef Merkl aus der Region im Auftrag des Frauenforums Aichach-Friedberg nachgegangen, wie er der AZ erzählt. Das Forum möchte sich dem Vergessen dieser Frauen entgegenstellen, sagt Forumssprecherin Jacoba Zapf der AZ.

Über 350 Frauen in "Sicherheitsverwahrung" – ein heute noch geläufiger Begriff, den die Nazis prägten – wurden Merkl zufolge von Aichach nach Auschwitz in den Tod geschickt, wo sie an Entkräftung oder Krankheit starben.

Wer waren die Inhaftierten? Darunter waren beispielsweise schlicht arme Frauen, die Essen gestohlen hatten, Jüdinnen oder Sinti und Roma.

Ein Denkmal für weibliche Opfer der NS-Diktatur

Für die Opfer soll in diesem Frühling ein Denkmal errichtet werden, sagt Zapf. Dazu hatte die Stadt Aichach einen Wettbewerb für Künstler und Künstlerinnen ausgeschrieben, über 60 Einsendungen habe es gegeben, schildert Zapf. Nun sei das Werk in Arbeit. Es soll vor dem Aichacher Stadtmuseum gegenüber dem Friedhof aufgestellt werden, wo auch einige der Frauen beigesetzt worden seien.

Dafür haben sich über Parteigrenzen hinweg viele Politiker und Politikerinnen eingesetzt, erzählt Historiker Merkl der AZ. Mit Unterstützung des Staatsarchivs in München gelang es Merkl in zwei Jahren Arbeit ein sehr genaues Bild von dieser Zeit und den Frauen zu zeichnen, berichtet Zapf.

Widerstandskämpferinnen, Sozialdemokratinnen, Wohnungslose

Unter den Inhaftierten waren demzufolge Sozialdemokratinnen und Kommunistinnen, ebenso sogenannte Asoziale. Häufig wurden diese jungen Frauen zwangssterilisiert. Dazu kamen politisch verfolgte Frauen, Frauen, die sich regimekritisch geäußert hatten oder Frauen, die gegen das Kontaktverbot mit Kriegsgefangenen verstoßen hatten. Später kamen Widerstandskämpferinnen aus vielen Ländern Europas hinzu.

Diese Vielschichtigkeit der Gefangenen in der Aichacher JVA hat Merkl überrascht, wie er der AZ sagt. 12.500 Akten von eingesperrten Frauen lagern ihm zufolge im Staatsarchiv München. Die konnte er freilich nicht alle durcharbeiten.

Bei der Aufnahme ins Gefängnis wurden die Frauen untersucht und nach ihrer Arbeitsfähigkeit eingeordnet. Hier der Bogen von Christine Reinhardt, einer "Landstreicherin". Sie starb auch in Auschwitz.
Bei der Aufnahme ins Gefängnis wurden die Frauen untersucht und nach ihrer Arbeitsfähigkeit eingeordnet. Hier der Bogen von Christine Reinhardt, einer "Landstreicherin". Sie starb auch in Auschwitz. © Staatsarchiv München

Bewegte Lebensgeschichten, Stoff für einen Krimi

Ein paar Fälle sind ihm besonders im Gedächtnis geblieben, etwa die Geschichte der gebürtigen Wienerin Hanna Schiff. Ihr Fall, so schreibt es Merkl in einem Aufsatz über seine Recherchen für das Jahrbuch "Altbayern in Schwaben", biete Stoff für einen Agentenfilm: "Sie hatte ihren Freund, einen österreichischen Schriftsteller, Marineoffizier des Ersten Weltkrieges und Patrioten, sowie einen aus Mähren stammenden ehemaligen Offizier der Fremdenlegion und französischen Agenten unterstützt, die von Wien aus die Aufrüstung der deutschen Kriegsmarine – sehr erfolgreich – ausspähten." Wegen Landesverrats wurde sie zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Was aus ihr wurde? Unklar.

Auch die Sozialdemokratin Lina Ammon, eine der Mütter der Bayerischen Verfassung, wurde in Aichach in "Schutzhaft" genommen. Die prominente Gewerkschafterin, erinnert Merkl in seinem Aufsatz, war seit 1920 Mitglied des Bayerischen Landtags. Sie setzte sich für Arbeiterfamilien und Gesundheitsfürsorge ein.

Anna Stögbauer aus Augsburg war eine der über 350 nach Auschwitz deportierten Frauen, die zunächst in Aichach gefangen gehalten wurden. Sie soll Opferstöcke gestohlen haben. Auch Christine Reinhard kam in Auschwitz um, zuvor wurde die "Landfahrerin" zwangssterilisiert.

Anna Stögbauer war eine der über 350 nach Auschwitz deportierten Frauen, die zunächst in Aichach gefangen gehalten wurden.
Anna Stögbauer war eine der über 350 nach Auschwitz deportierten Frauen, die zunächst in Aichach gefangen gehalten wurden. © Staatsarchiv München

Bislang gibt es in dem schwäbischen Städtchen Aichach nur ein kleines Museum in der JVA, das sich mit der Geschichte der Anstalt beschäftigt. Alte Zellentüren, Uniformen und Geschirr sind dort unter anderem zu sehen. Seit dem Jahr 1909 werden im Aichacher Gefängnis Frauen inhaftiert. Heute hat die Justizvollzugsanstalt 440 Haftplätze für Frauen und 139 für Männer, wie das Bayerische Justizministerium der AZ auf Nachfrage mitteilt. Damit ist Aichach auch heute noch das größte Gefängnis für Frauen im Freistaat – insgesamt gibt es dem Ministerium zufolge in Bayern 879 Haftplätze für weibliche Gefangene.

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