"Die Fixerstube rettete meinem Mann das Leben"

Die Nürnbergerin Sandra B. berichtet von ihren Erfahrungen mit einem Drogenabhängigen. Heuer starben bereits 41 Menschen in Mittelfranken an einer Überdosis Heroin. Experten schlagen Alarm
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Für einen betreuten Konsum von Heroin in den so genannten Fixerstuben – hier in Hamburg – setzen sich Professor Felix Tretter und Mudra-Vize-Chef Klaus Thieme ein.
dpa Für einen betreuten Konsum von Heroin in den so genannten Fixerstuben – hier in Hamburg – setzen sich Professor Felix Tretter und Mudra-Vize-Chef Klaus Thieme ein.

Die Nürnbergerin Sandra B. berichtet von ihren Erfahrungen mit einem Drogenabhängigen. Heuer starben bereits 41 Menschen in Mittelfranken an einer Überdosis Heroin. Experten schlagen Alarm

NÜRNBERG „Mach’ langsam, das ist starkes Zeug“, sagte ihr Mann, dann kippte er um. Atemstillstand – häufig Folge einer Überdosis Heroin. Eine Ex-Abhängige erzählt bei der Nürnberger Drogenhilfe Mudra von ihren Erfahrungen in Frankfurter Konsumräumen. Die Sozialarbeiter dort reagierten sofort. Sie beatmeten den Ohnmächtigen, spritzten ein Gegenmittel und lösten den Notruf aus. Sarah B.: „Ohne Drogenkonsumraum wäre mein Mann heute tot.“ Die Mudra setzt sich seit Jahren für die Öffnung ähnlicher Räume in Bayern ein. „Die Zeit drängt“, sagt Mudra-Vize-Chef Klaus Thieme. Bis jetzt gab es in Nürnberg so viele Drogentote wie im gesamten Vorjahr, 21. In ganz Mittelfranken starben bislang 41 Menschen. Der letzter Akt spielt in Wohnungen, aber auch auf Bahnhofsklos, in Bäckerei- und Fast-Food-Ketten. Hilfe kommt fast immer zu spät.

Das Schnell-Schnell beim Spritzen in der Öffentlichkeit sei besonders gefährlich, erklärt Thieme. Sarah B.: „Du zitterst, du brauchst den Schuss und suchst verzweifelt die Vene. Endlich zieht die Spritze Blut, das ist Stress pur und dann drückst du zu schnell.“ Drogen, Panik und Hektik vermischten sich oft zum tödlichen Cocktail, sagt Thieme. Für den Sozialarbeiter ist klar: Ein Konsumraum rettet Leben Schwerstabhängiger.

„Hier scheint die Fachmeinung von der politischen abzuweichen“

Nicht alle sind seiner Meinung. „Besser Therapie als Fixerstuben“, wiederholt sich Bayerns Gesundheitsminister Markus Söder (CSU). Er warnt vor allem vor der Gefahr von rechtsfreien Räumen, der Sogwirkung auf Dealer und der Verlängerung der Abhängigkeit. Mit den Befürchtungen ist Söder aber ziemlich allein. Sozialarbeiter und Wissenschaftler sind fast ausnahmslos für Konsumräume. „Hier scheint die Fachmeinung von der politischen abzuweichen“, sagte jüngst Professor Felix Tretter von der Bayerischen Akademie für Sucht- und Gesundheitsfragen.

In Frankfurt a. Main, Berlin und Hamburg, wo die Drogenszene am größten ist, sind Schutzräume Normalität. In Bern in der Schweiz müssen Drogensüchtige Nummern ziehen wie bei einer Behörde. Unter Aufsicht und mit desinfizierten Spritzen nehmen sie nur Rauschgift, das sie selbst mitbringen.

In Deutschland bleibt es den Bundesländern überlassen, ob sie Konsumräume einrichten wollen.

Selbst die FDP befürwortet Konsumräume

Bayern – oder präziser – die CSU will nicht. Denn selbst die FDP befürwortet Konsumräume. In Nürnberg und München kämpfen ihre Stadträte für deren Einrichtung. Aber der FDP-Fraktion im Landtag scheinen die Hände gebunden. „CSU und FDP haben sich im Koalitionsvertrag verpflichtet, nur bei inhaltlicher Übereinstimmung parlamentarische Initiativen zu ergreifen“, zitiert die Bayerische Staatszeitung FDP-Fraktionschef Thomas Hacker. Aber: Es werde darüber innerhalb der Koalition diskutiert.

Besonders das Schlagwort vom „rechtsfreien Raum“ kann Sarah B. nicht verstehen. „In Frankfurt hatten wir strikte Regeln: Keine offenen Spritzen, nur der eigene Stoff, niemals dealen.“ Wer sich nicht daran hielt, flog raus. Ein Alptraum für viele Abhängige. „Die Sozialarbeiter sind oft der letzte menschliche Kontakt.“ Ihr habe der Konsumraum durch dunkle Tage geholfen. „Mein Mann saß im Knast, oft war ich lange im Konsumraum und habe Briefe an ihn geschrieben.“ Sarah B. hat nach 16 Jahren Haschisch, Alkohol, Heroin und Kokain den Absprung geschafft. Rückfälle und Entgiftungen haben sich zwar anfangs abgelöst, ihre zwei Töchter ihr aber Kraft gegeben. „Seit 30. Juni 2002 bin ich sauber“, sagt sie stolz. Sie arbeitet mittlerweile in Nürnberg, ihren vollen Namen möchte sie lieber nicht nennen.

Gesundheitspolitikern könnte sie einiges erzählen. Deren oberster Vertreter, Lebensminister Söder, aber meidet bislang das Gespräch. Die wichtigste Drogenhilfe-Einrichtung seiner fränkischen Heimat, die Mudra, hat Söder in zwei Jahren als Gesundheitsminister nicht besucht. „Wir haben ihn unlängst eingeladen“, sagt Thieme. „Über eine Terminbestätigung würden wir uns sehr freuen.“

Lars-Marten Nagel

Warum Gesundheitsminister Markus Söder (CSU) die Einrichtung von Fixerstuben weiter verweigert, lesen Sie in der Print-Ausgabe Ihrer AZ am Wochenende, 9./10. Oktober

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