Die eingeschweißte Zirkusprinzessin

Die Reizüberflutung als Show-System: 9000 bei Superstar Pink in der ausverkauften Arena.
von  Abendzeitung
Die Posen eines durchtrainierten Pop-Phänomen: Pink gab auch in Nürnberg das Paradiesvögelchen, ließ sich auf Händen tragen und reckte die Rebellenfaust.
Die Posen eines durchtrainierten Pop-Phänomen: Pink gab auch in Nürnberg das Paradiesvögelchen, ließ sich auf Händen tragen und reckte die Rebellenfaust. © Klaus Schillinger

NÜRNBERG - Die Reizüberflutung als Show-System: 9000 bei Superstar Pink in der ausverkauften Arena.

Eine Sensation. Ein Wunder. Was sonst? Ohne den Hauch einer Anstrengung hängt die Zirkusprinzessin kopfunter am schwingenden Trapez und lässt Stimmbänder und Gliedmaßen Salti schlagen. Wie das geht? Wer will das wissen? Bei Pink, die das Leben zum Rummelplatz, zum „Funhouse“ mit Achterbahn und Autoscooter-Mucke erklärt, geht es auf dem laufenden Triumphzug noch mehr als früher um begnadete Körperhaltung und begnadigte Stimme. Mit Einmal-Erlebnissen, Rock-Überraschung hat das Spektakel des 29-jährigen wasserstoffblonden Trotzköpfchens denn auch nur teilweise etwas zu tun. In Nürnberg, das hinsichtlich solcher irrwitziger Großshows längst zum Trockengebiet mutiert, ließen sich über 9000 Fans in der ausverkauften Arena dankbar auf dieser knallbunten Welle durch die hemmungslose Reizüberflutung schwemmen.

Schon am Souvenirstand wird Pinks Hauptzielgruppe deutlich. Denn im reichen Sortiment warten auch schwarze Damenslips und Wadenwärmer. „Think Pink“ sagt sich die Frau von heute und geht mit Tochter oder Mutti oder Lebensgefährtin ins Spiegelkabinett einer Künstlerin, die als Punk-Alibi im Dudelfunk nicht nur das tänzelnde Mannsbild auf der Bühne beim Schopfe packt, sondern das Männerbild gleich mit.

Also wird noch im Off – mit schönem Gruß an die tourenden AC/DC – der „Highway to Hell“ beschritten, wo die Kippe frech glüht und die Lederjacke Rebellion suggeriert. Als Paradiesvögelchen mit „Schlechtem Einfluss“ taucht sie aus der Versenkung auf, lässt sich als Matrazenluder bei „I touch myself“ von Männerarmen – huch wie vulgär – zwischen die Beine langen, stachelt eine sinnfreie Kissenschlacht an und beschwört am Ende, wenn sie mitten in der Halle, auf dem Laufsteg, der quer durch die Halle geht, am Jumpee-Gummi über den Köpfen schnalzt, den „Glitter in the Air“. Willkommen im Cirque du Soleil, im Gewimmel von Latex-Hupfdohlen und Seil-Akrobaten. Hofnarren und Quoten-Musikanten.

„Ist dies das wirkliche Leben? Ist es nur Phantasie?“, singt sie irgendwann. Da ist Pink kurzfristig eine gelb befrackte Freddie Mercury und speist die „Bohemian Rhapsody“ ein. Der Queen-Klassiker passt zur aufgeschäumten Gemütswelt, die in Pop-Show-Folie eingeschweißt wird und nur in den Unplugged-Einlagen wie „Family Portrait“ oder besonders im herausragenden Led-Zeppelin-Cover „Babe, I’m Gonna Leave You“ die Klasse-Konturen einer Sängerin freilegt, die als Stahlmantelgeschoss aparte Kratzspuren zeigen darf, ansonsten artistisch, aber auch autistisch über die öffentliche Dämonen-Beschwörung hinwegturnt. Einzig das George-Bush-Toilettenpapier, das ihr ein Fan reicht, erheitert sie kurz. Dann rattert sie im leicht stumpfen Klangbild der monströsen Hit-Maschine („So What“ und „Sober“ inclusive) weiter, bis die Videoleinwände „The End“ verkünden: Eine Show wie ein Film, die Seele zur atemlosen Pose erstarrt. Andreas Radlmaier

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.