Die bayerische Bartgeierfamilie wächst

Berchtesgaden - Sie sind erst vor einem Monat in Andalusien geschlüpft: sieben flauschige Bartgeier-Küken. Noch tragen sie ein grau-braunes Daunenkleid - die namensgebenden, borstenartigen Federn, die den Greifvögeln bald über ihre Schnäbel hängen werden, sind noch nicht zu erkennen.
Das Gewicht der Jungvögel hat sich im letzten Monat verzehnfacht, erzählt Bartgeierexperte Toni Wegscheider der AZ: Sie sind schon jetzt je so groß wie ein Huhn und 1,5 Kilo schwer. Ausgewachsene Tiere zählen mit einer Flügelspannweite von 2,90 Metern zu den größten flugfähigen Vögeln der Welt.

Zwei von den sieben Gefiederten werden Anfang Juni im Nationalpark Berchtesgaden ausgewildert - und ziehen dann vielleicht bald gemeinsam mit "Wally" und "Bavaria" ihre Kreise über Bayern.
"Viva Familia!", verkündet deshalb der Landesbund für Vogelschutz (LBV) am Freitag. Dem Auswilderungsprojekt von LBV und Nationalpark Berchtesgaden wurden demnach auch heuer wieder zwei der spanischen Jungvögel aus dem Zuchtzentrum Guadelentín in Andalusien zugeteilt. Auch die im letzten Sommer ausgesetzten Bartgeier-Mädels "Wally" und "Bavaria" stammen aus Spanien. Im Juni bekommen sie borstige Verstärkung - bis 2030 sollen jährlich zwei weitere Bartgeier folgen.
Wegscheider: "Für die Pärchensuche braucht es Fingerspitzengefühl"
Denn die einst als "Lämmergeier" gefürchteten Aasfresser, sollen über 100 Jahre nach ihrer Ausrottung in den Alpen, wieder über den Freistaat fliegen. Projektziel ist es, den Bestand der imposanten Vögel in den Alpen wieder zu sichern.
Die letzten Wochen waren eine Zitterpartie
Das Geschlecht der beiden Tiere wird erst in einigen Wochen nach einer Genprobe feststehen. Bekannt ist: "Wir werden den kleinen Bruder oder die kleine Schwester von ‚Wally', sowie einen Cousin oder eine Cousine von 'Bavaria' erhalten", sagt Wegscheider. Auf die künftige Paarbildung und damit die Genetik der Tiere werde dies keinen negativen Einfluss haben, da sich künftig Bartgeier des gesamten Alpenraums zusammenfinden werden, sagt der LBV-Experte. Der Projektbeauftragte freut sich über die verwandtschaftlichen Beziehungen: "Mit dem Bezug ist es einfach herziger - einfach nett!"
Die letzten Wochen waren eine Zitterpartie, berichtet Wegscheider. Bartgeierzucht verlange viel Erfahrung bei allen Beteiligten, und eine gewisse Kunst. Denn: "Bartgeier sind auch nur Menschen", witzelt er. Das Finden eines Pärchens erfordert Fingerspitzengefühl.
Denn Bartgeier-Frau hat eben so ihre Ansprüche und auch bei Bartgeier-Mann muss es funken: "Bei den beiden muss die Chemie stimmen", so Wegscheider. Ist das Weibchen dominant, muss es den "Kerl zurückweisen können". Und damit müsse sich das Männchen wiederum arrangieren können. Sanfte Weibchen benötigten ein entsprechend entspanntes Männchen. "Die Charaktere müssen passen."
Wurde ein passendes Paar gefunden, gibt es bei den ersten Brutversuchen oft Startschwierigkeiten, etwa bei der Fütterung, erklärt der Experte. "Sie wissen meist nicht, wie viel ihr Jungtier frisst - sie stopfen es oft voll, oder geben ihm zu wenig."
Misserfolge bei der Zucht könne es auch schon vor dem Schlüpfen geben: Im Nürnberger Tiergarten sind die beiden Küken eines Paares gestorben, teilte die Stadt erst am Donnerstag mit. Doch die Chancen für die sieben Jungvögel aus Spanien stehen gut: "Die ersten kritischen Wochen sind überstanden."
"Die geselligen Jungtiere haben keine Berührungsängste"
Bald geht es für sie auf Reisen: Von Spanien nach Deutschland - und nach einer Pause im Nürnberger Tiergarten weiter nach Berchtesgaden. Am Tag der Auswilderung werden sie von Rangern des Nationalparks in die Felsnische am Knittelhorn gebracht. Jene Nische, von der aus bereits ihre Verwandten "Wally" und "Bavaria" lossegelten.
Die sind derzeit in der Region unterwegs, weiß Wegscheider. Doch werden sie sich mit dem Zuwachs verstehen? Aus Verhaltensstudien sei bekannt: "Die geselligen Jungtiere sind noch nicht territorial und haben keine Berührungsängste." Dann können die sanften Riesen zusammen ihre Kreise ziehen.