Deutschland arbeitet an neuem Operationsplan für den Kriegsfall

Gerüstet sein für einen Angriff oder den Nato-Bündnisfall: Genau dafür ist der Operationsplan gedacht. Doch nicht nur die Bundeswehr hat Defizite – ein Problem ist auch die Infrastruktur.
von  Heidi Geyer
Ist die Schiene in Deutschland fit für den Transport von militärischem Gerät, wie hier von Bundeswehrpanzern bei einer Übung in der Oberlausitz? Darum geht es unter anderem im Operationsplan Deutschland.
Ist die Schiene in Deutschland fit für den Transport von militärischem Gerät, wie hier von Bundeswehrpanzern bei einer Übung in der Oberlausitz? Darum geht es unter anderem im Operationsplan Deutschland. © Robert Michael/dpa

Dass Deutschland gewisse Defizite bei der Verteidigung hat, ist bekannt. Doch es ist nicht nur die Bundeswehr, die Experten Kopfzerbrechen bereitet.

Derzeit wird der Operationsplan Deutschland ausgearbeitet. Es ist ein Plan für den Fall der Fälle: Sollte es zu einem Angriff auf Deutschland oder zum Nato-Bündnisfall kommen, würde er angewendet werden.

Dabei geht es jedoch nicht allein um die Bundeswehr: Denn der O-Plan führt militärische Aspekte mit den notwendigen zivilen Unterstützungsleistungen zusammen. Nicht nur die Bundeswehr, sondern gewissermaßen das ganze Land soll auf Vordermann und bereit gemacht werden.

Der geheime O-Plan betrifft auch wichtige Infrastruktur

Was abstrakt klingt, erklärt der Kommandeur des Landeskommandos Bayern, Brigadegeneral Thomas Hambach: "Die Palette der Themen reicht hier vom Heimatschutz über den Schutz verteidigungswichtiger Infrastruktur bis hin zur Aufmarschplanung und nationalen territorialen Verteidigung."

Der O-Plan sei eine Reaktion auf die sich verschärfende sicherheitspolitische Lage in Europa. Involviert sind eben nicht nur die Experten des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr, sondern auch weitere Bundesressorts, Länder und Kommunen, Blaulichtorganisationen und Wirtschaft. Das Dokument selbst ist geheim.

Im Ernstfall würden Streitkräfte durch Bayern verlegt werden

Anders als im Kalten Krieg, als Deutschland ein Frontstaat war, ist es heute laut Hambach ein Dreh- und Angelpunkt mit anderen Anforderungen als früher.

"Im Fall einer akuten Bedrohung an der Ostflanke des Bündnisses würden deutsche sowie alliierte Streitkräfte innerhalb kürzester Zeit durch ganz Deutschland verlegt werden müssen, auch durch Bayern", sagt der Brigadegeneral.

Hinzu komme das Internet-Zeitalter mit neuen Herausforderungen. Hambach sagt aber auch sehr deutlich, dass sich Deutschland und die Nato in einer Phase der Entspannung befunden hätten, das Augenmerk auf Stabilisierungsoperationen im Ausland gelegen sei.

"Ich schätze die Kriegsgefahr so hoch ein wie seit Jahrzehnten nicht mehr"

Die Annexion der Krim, der Überfall auf die Ukraine – was kommt da noch? Einer, der die Situation sehr genau beobachtet, ist Roland Weigert (FW), Vorsitzender des Innenausschusses im Bayerischen Landtag. "Ich schätze die Kriegsgefahr so hoch ein wie seit Jahrzehnten nicht mehr", sagt Weigert.

Ihn erinnere die heutige Zeit an die Appeasement-Politik -(Beschwichtigungs-, d. Red.) Großbritanniens gegenüber Nazideutschland in den 1930er Jahren. "Man wollte damals nicht sehen, was eigentlich offensichtlich war", sagt er. Russland, China und Iran beobachtet er sehr genau und mit Sorge.

"Wir tun gut daran, vorzubeugen", sagt Weigert der AZ. Ob es zur Attacke komme, stehe auf einem anderen Blatt. "Das muss kein Angriff auf die baltischen Staaten sein, aber beispielsweise ein Angriff auf unser Energienetz", sagt Weigert. Glaubwürdig abzuschrecken, ist aus Sicht Weigerts wichtig.

Roland Weigert (FW) ist Vorsitzender des Innenausschusses im Bayerischen Landtag.
Roland Weigert (FW) ist Vorsitzender des Innenausschusses im Bayerischen Landtag. © IMAGO/Frank Hoermann/SVEN SIMON

Jüngst warnte Generalleutnant Jürgen-Joachim von Sandrart vor einem Übergriff Russlands. Nicht alle militärischen Kräfte Russlands seien in der Ukraine gebunden. "Diese Bedrohung ist existent. Und sie wächst mit jedem Tag", so der Generalleutnant. Dem müssten Deutschland und die Nato etwas entgegensetzen.

Hambach spricht diplomatisch vom "richtigen Weg", auf dem Deutschland sei – ein Weg mit Defiziten: "Aber auch wenn dieser noch weit ist, bin ich doch sehr zuversichtlich, dass wir dies sehr zügig umsetzen werden."

"Das Innenministerium und Frau Faeser machen die notwendigen Mittel nicht frei"

Weigert klingt deutlich skeptischer. "Auf der Planungsseite haben wir keine Defizite – da ist das aus meiner Sicht sogar ein grandioser Wurf." Doch: Jetzt gehe es darum, Einzelmaßnahmen daraus abzuleiten. Und die Finanzierung: "Bundesminister Pistorius hat die Lage richtig erkannt und greift an. Aber das Innenministerium und Frau Faeser machen die notwendigen Mittel nicht frei."

Das sei aber dringend notwendig. "Ich stehe auch für das Zwei-Prozent-Ziel beim Innenministerium – je nachdem wie das ausgestaltet und verteilt wird", sagt Weigert. Die 570 Millionen, die derzeit vorgesehen seien, sind aus Sicht von Weigert definitiv zu wenig.

"Die Bundeswehr sagt ja, wir können die Aufgaben alle nicht leisten, wenn uns auch die zivile Seite nicht unterstützt." Das können beispielsweise der Bau von Schutzbauten wie Bunkern sein oder die Erneuerung von Autobahnbrücken.

Letzteres sei beispielsweise im Bündnisfall wichtig, sodass militärische Lastenfahrzeuge auch die Brücken überqueren können, sagt Weigert. Auch um Schienen und Seehäfen werde es gehen. "Inwieweit das Thema Flughäfen betrifft, werden wir sehen – aber das kann alles eine Rolle spielen", sagt Weigert der AZ.

Die schon jetzt vielerorts marode Infrastruktur ist auch militärisch von Nachteil. Hambach spricht davon, dass die Truppe wieder mehr Präsenz zeigen werde, etwa bei Übungen: "Damit sind selbstverständlich Einschränkungen, etwa ein erhöhtes Lärmaufkommen oder Verkehrsbehinderungen, verbunden."

Hambach sagt, derzeit könne man noch keine definitive Zahl nennen, wie viel Budget nötig sei. "Am Ende geht es auch nicht darum, Kosten isoliert zu betrachten, sondern sie vielmehr als Gemeinkosten für die Robustheit und Resilienz der Bundesrepublik zu sehen und damit als Investition in unseren Frieden, unsere Freiheit, unsere Sicherheit", sagt der Kommandeur.

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