Desaströser Maskendeal: Neun Millionen Euro für unbrauchbare Ware

Neun Millionen Euro hat der Freistaat für ungeeignete Ware bezahlt. Welche Rolle das Landesamt für Gesundheit dabei spielt.
von  Helmut Reister
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU, l.) nimmt im April 2020 im Beisein von Carsten Spohr (2.v.l.), Vorstandsvorsitzender der Deutschen Lufthansa AG, in München eine Lieferung von Schutzmasken aus Shanghai in Empfang.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU, l.) nimmt im April 2020 im Beisein von Carsten Spohr (2.v.l.), Vorstandsvorsitzender der Deutschen Lufthansa AG, in München eine Lieferung von Schutzmasken aus Shanghai in Empfang. © Matthias Balk/dpa

München - Das Geschäft mit minderwertigen Corona-Masken aus China ist nicht nur teuer für den Freistaat geworden - neun Millionen Euro hat er hier verpulvert. Es hat auch Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Nürnberg ausgelöst. Federführend bei dem Deal war das Landesamt für Gesundheit (LGL). Die Behörde spielt in dem Fall eine fragwürdige Rolle.

Das irre Tempo, mit dem der Masken-Deal zustande kam, ist eine der vielen Auffälligkeiten, die den Fall begleiten. Den Umstand, dass das Angebot zur Lieferung medizinischer FFP2-Masken von branchenfremden Reifenhändlern kam, könnte man gleich noch dazurechnen.

Trotzdem dauerte es nicht einmal einen halben Arbeitstag, bis sie den ersten Lieferauftrag (200.000 Stück) des LGL in der Tasche hatten. Dieser war die Zündschnur für die folgenden fünf Bestellungen durch das LGL - für 11,44 Millionen Masken insgesamt.

Ein Dokument, das die Qualität bescheinigt, soll gefälscht sein

Voraussetzung für das Geschäft zwischen dem LGL und den Geschäftsleuten waren die notwendigen Papiere. Dazu gehörte ein Dokument, das den in China hergestellten Masken europäische FFP2-Qualität bescheinigt. Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft wurde es von den beiden Beschuldigten gefälscht.

Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) erklärte sinngemäß, dass er bei wirtschaftlichen Angelegenheiten in vielen Fällen Kontakte vermittele, Wege ebne und Anliegen weiterleite. Das sei bei Hilfsanfragen für ihn politischer Alltag. Zu der Äußerung sah er sich veranlasst, als im Zuge der Ermittlungen bekanntgeworden war, dass die Dokumente für das Masken-Geschäft, darunter das gefälschte, von ihm an das Landesamt weitergeleitet worden waren (AZ berichtete exklusiv).

Rein zufällig ist Hubert Aiwanger nicht um Hilfe beim Masken-Geschäft gebeten worden. Einer der beiden Reifenhändler ist Matthias Penkala, ein langjähriger politischer Weggefährte von ihm: Stadtrat, Kreisrat und Bezirks-Geschäftsführer der Freien Wähler, bis zum letzten Jahr auch noch Chef der Jungen Freien Wähler in Bayern.

LGL will sich zu Details der Ermittlungen nicht äußern

Die Brisanz des desaströsen Deals, den das Landesamt mit dem Reifenhändler abschloss, besteht nicht nur aus dem Umstand, dass die Behörde weder die Fälschung erkannte noch die Unbrauchbarkeit der Masken.

Aiwanger hatte die Mail seines Parteikollegen kommentarlos am Abend des 4. April 2020 an einen hochrangigen LGL-Beamten weitergeleitet. Der wiederum schickte sie am 5. April um 11.26 Uhr an einen Kollegen weiter. Ihm schreibt er, dass angesichts der Unterlagen klar sei, dass die Masken dem vorgeschriebenen europäischen Standard entsprechen. "Damit wäre dieses Produkt auf dem europäischen Markt in dieser Form verkehrsfähig", lautet sein Fazit.

Das Problem für die Behörde, die sich zu Details der Ermittlungen nicht äußern will, ist der Zeitpunkt des Schriftverkehrs. Am 5. April, als der LGL-Beamte die notwendigen, wenn auch gefälschten Papiere in der Hand hielt, kam die erste Lieferung aus China bereits in Deutschland an: 200.000 Stück für 155.890 Euro. Die Frage, warum das Geschäft danach nicht sofort gestoppt wurde, drängt sich auf.

Kennzeichnung auf Masken fehlt

Immerhin vermutete eine LGL-interne Fachgruppe schon nach dieser Lieferung, dass es sich um gewöhnliche, gegen Corona nicht verwendbare Masken handle. Die an das LGL gelieferten Produkte hatten keine Aufdrucke, keine Typenbezeichnung, keine erkennbare EU-Zulassung. Trotzdem ging am 7. April, zwei Tage nach Ankunft der ersten Lieferung, die nächste Bestellung an die Reifenhändler raus: 600 000 Stück für 489 435,10 Euro.

Am 9. April meldet sich eine in die Beschaffung von Masken eingebundene Unterstützergruppe beim LGL. In dieser Mail steht: "Es gibt Probleme mit der Ware, da auf Ware keine europäische Adresse draufsteht. Geld kommt wohl trotzdem, da Ausnahme gemacht. Problem 1,5 Millionen am Samstag sind auch falsch adressiert." Nur einen Tag später, am 10. April, werden 1,35 Millionen Masken bestellt.

Ebenfalls an diesem 10. April entscheiden sich die Verantwortlichen des LGL dafür, die fehlende Kennzeichnung auf den Masken und Verpackungen nachträglich anzubringen.

Einer von ihnen spricht in einer Mail den riesigen Aufwand und benötigte Helfer und Helferinnen an. Er schreibt: "Aber wir befinden uns in einer absoluten Zwickmühle und können sicherlich auch gegenüber der Politik diese ‚unbürokratische' und meines Erachtens auch einmalige Aktion als LGL punkten. (sic!)"

Das "unbürokratische" Profil des Geschäfts erschließt sich auch aus der Mail einer Ministeriumsmitarbeiterin an das LGL. Diese Mail vom 16. April, 9.19 Uhr, ist an den für das Maskengeschäft verantwortlichen LGL-Mitarbeiter gerichtet. Aus ihr geht hervor, dass die Freigabe für den Kauf der "Reifenhändler-Masken" erst am Vortag, 15. April, erfolgt ist. Bis dahin hatte das LGL, offensichtlich auch ohne offizielle Freigabe, bereits 2,5 Millionen Masken bestellt und erhalten.

Die Ministeriumsmitarbeiterin will von dem LGL-Beamten, der für die Bestellungen verantwortlich ist, auch noch wissen, welcher Typ von Masken eigentlich gekauft werden soll. "Spielt der Typ..... überhaupt eine Rolle oder nehmen wir alle OP-Masken, die die DIN EN 14683 erfüllen?"

Der LGL-Experte, der den Auftrag absegnete, wusste offenbar selbst nicht, welche Masken tatsächlich bestellt wurden. "Können Sie aus den Prüflisten den Maskentyp von Herrn Penkala herauslesen", fragte er gleich danach per Mail einen Kollegen.

Zu diesem Zeitpunkt lief bereits die vorletzte Bestellung: 3,37 Millionen Masken für 2,79 Millionen Euro. Diese Größenordnung wurde beim letzten Auftrag mit 5,5 Millionen Masken (4,1 Millionen Euro) noch einmal getoppt.

Die Masken hat das LGL an Krankenhäuser und Ärzte ausgegeben

Das LGL hat die Masken nach eigenen Angaben Ende April/Anfang Mai an Krankenhäuser, Ärzte und medizinisch orientierte Einrichtungen verteilt.

Als sich Wochen später der Verdacht erhärtete, dass sie corona-untauglich waren, waren bereits nahezu alle verbraucht. Auffallend ist, dass das Klinikum in Bamberg die nutzlosen Produkte sofort erkannte und sie nicht verwendete.

Die Staatsanwaltschaft Nürnberg ermittelt gegen Penkala und seinen Geschäftspartner wegen gewerbsmäßigen Betrugs. Ermittlungen gegen das LGL oder Mitarbeiter laufen laut Behördensprecherin Antje Gabriels-Gorsolke derzeit nicht: "Es gibt keinen Anfangsverdacht."

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