Der Zuagroasten-Atlas
Kein Bundesland wirkt so anziehend wie der Freistaat: Ein Bevölkerungsexperte erklärt, welche Gründe es für den Zuzug gibt – und warum Bremer und Berliner lieber daheim bleiben
München Der Freistaat wirkt wie ein Magnet – aus ganz Deutschland zieht es die Menschen nach Bayern, und zwar dauerhaft. Das zeigen die Zahlen des Bayerischen Landesamtes für Statistik und Datenverarbeitung für die Zu- und Abwanderungen. Ob Württemberger, Rheinländer oder Sachsen – alle wollen hierher. Die Nordlichter eher nicht. Warum das so ist, hat uns der renommierte Bevölkerungsexperte Herwig Birg erklärt.
Klar, in Bayern gibt’s viele Jobs und der Freizeitwert ist hoch. „Das Besondere an Bayern ist, dass mehr zuziehen als wegziehen“, sagt Experte Birg. Für jedes Bundesland gibt es andere Gründe, um wegzuziehen und in Bayern ein „Zuagroaster“ zu werden. Spätzlefreie Zone in Bayern? Gepflegte Feindschaft seit 150 Jahren? Von wegen, die Baden-Württemberger lieben uns! Allein 2009 kamen 3227 von ihnen. Auch, wenn es beide Seiten ungern hören, sie sind alle Südländer und sich in der Mentalität und bei der Wirtschaftskraft ziemlich ähnlich. Hier gilt: Gleich und gleich gesellt sich gern.
Für die Menschen aus Nordrhein-Westfalen gilt das nicht, NRW ist das wirtschaftsstärkste Bundesland. Aber ausgerechnet die Leute aus NRW ziehen in den Freistaat wegen der modernen Arbeitsplätze im Industrie- und Elektronikbereich. Denn seit dem Zweiten Weltkrieg hinkt Nordrhein-Westfalen dem Freistaat bei der technischen Entwicklung deutlich hinterher. Offenbar resistent gegen das Bayern-Virus sind die Nordlichter aus Bremen und Mecklenburg-Vorpommern. Urlaub: Ja. Hier leben: Nein, Danke? „Eigentlich liegt die Nord-Süd-Wanderung im Trend“, sagt Birg. Warum die Zahlen so niedrig sind, macht ihn ratlos – es liegt wohl an der sehr unterschiedlichen Mentalität. Moinmoin kann nix mit Servus anfangen. Auch die Hamburger tauschen ihren Hafen ungern ein gegen bayerische Berge und Seen.
Dafür mögen die Menschen aus dem Osten den Freistaat im Süden umso lieber. Sicher, die Jobaussichten sind in Bayern besser. Familie Maurer etwa beschäftigt in ihrem Hotel im Forsthaus Graseck einige Azubis aus den neuen Bundesländern: „Sie integrieren sich gut und wir sind dankbar für die Arbeitskräfte.“ Besonders viele kommen aus Sachsen, exakt 2844 im Jahr 2009. Martin Luther trennte zwar Bayern und Sachsen bei der Religion, aber die Länder blieben verbunden. Nach dem Zweiten Weltkrieg half Sachsen Bayern beim Wiederaufbau, nach der Wende investierte Bayern in Firmen im Osten. Eine starke Ähnlichkeit gibt’s beim Feiern. Laut einer Studie der deutschen Apothekerverbände trinken Sachsen und Bayern am häufigsten Alkohol – 15 Prozent der Bayern heben täglich einen und 11Prozent der Sachsen. Das verbindet.
Doch gegen Berlin kommt nichts an. Die Hauptstadt hat die größte Anziehungskraft der Republik. Auch die Bayern gehen in die „In“-Stadt, 2009 wanderten 1588 nach Berlin ab – auch, um sich im Trendviertel Prenzlauer Berg niederzulassen. Dabei sind nicht alle Zugezogenen in Berlin beliebt, „Schwaben raus!“ ist eine bekannte Parole.
In Berlin sind die Mieten niedrig, die Restaurants billig, die Kneipen immer geöffnet und die Subkultur riesig. Da tobt sich auch gern der Münchner aus, der von hohen Mieten und einer gewissen Bürgerlichkeit daheim gelangweilt ist. Herwig Birg: „Viele Bayern wissen gar nicht, was es für eine schöne Landschaft bei Berlin gibt.“ Bekommt er dann Heimweh, kann er ja der Vereinigung „Bayern in Berlin“ beitreten.Sabine Pusswald
„Das ist genau meine Stadt!“
Theres Hennig (29) ist vor vier Jahren mit ihrem Freund aus Sachsen hergezogen. Vor vier Jahren bin ich der Liebe wegen nach Bayern gezogen und habe Thalheim im sächsischen Erzgebirge den Rücken gekehrt. Nach meinem Pharmaziestudium in Leipzig habe ich meine Doktorarbeit in München geschrieben. Aber viel lieber als im Labor bin ich mit dem Fahrrad im Englischen Garten unterwegs. Und genau das gefällt mir hier so gut: das ländliche Flair. Man hat das Gefühl, Kilometer weit von der Stadtmitte weg zu sein, dabei ist man noch mitten drin. Außerdem machen mein Freund und ich viele Ausflüge an die bayerischen Seen. Ich finde, die Menschen hier sind nicht ganz so herzlich und es ist schwieriger, jemanden kennenzulernen. Aber ich plane meine Zukunft hier, das ist genau meine Stadt.“
„Ich entspanne gerne an der Isar“
Kurt Handte (51) kam vor vier Jahren aus Baden-Württemberg nach Bayern. Ich komme gebürtig aus Weingarten bei Ravensburg. 2006 bin ich von Baden-Württemberg nach München gezogen. Mir ist hier eine Stelle als Einkäufer im IT-Bereich angeboten worden, da konnte ich nicht ablehnen. Zum Entspannen nach der Arbeit finde ich die Isar super: Natur, Wasser und das alles mitten in der Hauptstadt. Mit den Münchnern ist es zwar ein bisschen schwierig ins Gespräch zu kommen, aber sie sind sehr ehrlich und bodenständig. Den typischen grantigen Bayern hab’ ich nur bei den Polizisten kennen gelernt. Die sind richtig oberlehrerhaft. Meine Partnerin wohnt aber noch in der alten Heimat, von daher bin ich jedes Wochenende auf den Autobahnen unterwegs zu ihr.“
„München ist kinderfreundlich“
Sandra König (33) und ihre Familie stammen aus Nordrhein-Westfalen. Wir haben zwei Kinder und sind mit der Familie aus beruflichen Gründen vor zwei Jahren aus NRW nach München gezogen. Vorher haben wir in dem 1000-Seelendorf Attendorn hundert Kilometer östlich von Köln gewohnt. Da war alles etwas persönlicher. Aber hier hat man die Möglichkeit, so viele Ausflüge zu machen und man hat trotz der Millionenstadt immer ein bisschen Ruhe. Die Stadt ist sehr familienfreundlich und macht viel für die Kinder. Am liebsten sind wir mit ihnen im Hirschgarten. Hier in Bayern wollen wir alt werden. Die Leute sind auch sehr hilfsbereit und freundlich. Nur mit dem bairischen Dialekt waren wir am Anfang überfordert. Doch mittlerweile wissen wir auch, was ein Haferl Kaffee ist.“ Protokolle: Anna Rathey