Der Weißstorch geht – dafür kommt der Geier
AZ-Serie zum Klimawandel: Die Vögel brüten früher, viele finden in trockenen Wiesen keine Nahrung mehr – Gefahr droht vor allem dem Rotmilan
NÜRNBERG Diesen Ruf erkennen sogar Menschen, die bei Begriffen wie Wiesenbrüter, Bekassine oder Mönchsgrasmücke ratlos mit den Achseln zucken. Wenn es „Kuckuck“ durch die Wälder ruft, dann weiß der Mensch: Der Frühling ist da, der Kuckuck auch. Nur: „Jedes Jahr hören wir ihn früher“, sagt der Biologe und Vogelschutz-Experte Andreas von Lindeiner. Es ist wärmer, also kommt der Kuckuck früher aus dem Winterquartier.
Würde der Frühlingsbote, der seine Eier gern in fremde Nester legt, seinen gewohnten Rhythmus beibehalten, hätte er wenig Chancen, fertige Nester von Teichrohrsängern oder Bachstelzen zu finden. Denn die beiden sind durch die wärmeren Temperaturen ebenfalls früher mit dem Nestbau beschäftigt. Frühere Brut heißt aber auch: Plötzlich müssen sich viele Vogelarten gleichzeitig ums noch knappe Futter streiten. „Die Larven der Kohlschnake sind eine wichtige Futterquelle für diese Vögel“, weiß von Lindeiner. Die Gefahr droht, dass das Futter nicht genügt, wenn die zu viele Küken plötzlich früher schlüpfen. Denn die Schnake bleibt bei ihrem gewohnten Rhythmus.
Was den Vogelkundlern zu denken gibt: Die Brutgebiete verschieben sich um 20 Kilometer nach Norden. Das klingt noch nicht dramatisch. Hochrechnungen allerdings ergeben, dass die Brutgebiete in 100 Jahren um 500 Kilometer nach Norden wandern.
Kanarienvögel im Stadtpark
Das hätte verheerende Auswirkungen auf den Rotmilan. Der Greifvogel würde von Deutschland nach Skandinavien auswandern. Von Lindeiner: „Dabei leben heute 12.000 der weltweit 20.000 Rotmilane in Deutschland.“
Auch der Weißstorch hätte die längste Zeit zur Futtersuche auf Frankens Wiesen gestanden. Der Grund: Die Temperatur-Erhöhung sorgt für trockenere Wiesen, doch genau in feucht-sumpfigen Arealen findet Meister Adebar seine Nahrung. Dafür fühlen sich dann andere Vögel in unseren Gefilden wohl, die bislang in Spanien oder auf dem Balkan heimisch waren: Geier zum Beispiel.
Werden also auch Kanarienvögel durch den Nürnberger Stadtpark fliegen? Andreas von Lindeiner lacht. „Mit dem Girlitz, der hier seit einigen Jahren beobachtet wird, haben wir bereits eine Kanarien-Art bei uns.“
Die einen kommen, die anderen schwirren ab – freut das den Vogelfreund? Oder ängstigt es ihn? „Eine so schnelle Veränderung kann nicht sehr positiv sein. Aber wenn ich einen Bienenfresser sehe, der jetzt hier heimisch wird, Freude ich mich drüber. Ich weiß jedoch, dass der Brachvogel schlimm dran ist: Er braucht feuchte Wiesen, sonst kommt er mit seinem langen Schnabel nicht in die Erde, um nach Regenwürmern zu suchen. Sollten die Tiere ihren Bestand halten, wenn sie ihre Areale verschieben, dann ist das in Ordnung.“ Aber: „Die Verbreitungsgebiete werden kleiner – und das macht die Tiere für weitere Störfaktoren verletzbarer.“
S. Will