Der „Vampir von Nürnberg“: Seine grausigen Memoiren

Kuno H. (75), Nürnbergs abgründigster Straftäter, will seine Lebensgeschichte veröffentlichen. Es geht um Satanismus und Leichenschändungen, um einen Doppelmord – und um sein neues Leben.
NÜRNBERG Mit etwas krakeliger Schrift füllt der ältere Herr eine Seite seines Schreibblocks nach der anderen. Es ist, als würde er sich damit jene Last von der Seele schreiben, die er seit fast einem halben Jahrhundert mit sich herumschleppt. Kuno H. (75) arbeitet an seiner Lebensgeschichte, in der es keine Höhen gibt, nur tiefe Täler. Und die sind so tief, dass es den Menschen in der Region noch heute den Atem verschlägt, wenn sein Name fällt: Kuno, der Vampir.
Als er zum ersten Mal vor den alten Zeitungsbänden im AZ-Archiv stand, zögerte er noch eine Weile, bis er dann jedoch die Berichte über seine eigenen, lange Zeit zurückliegenden Untaten fast gierig in sich hineinsog. Da war Kuno H. gerade erst aus der Justizvollzugsanstalt Straubing entlassen worden, wo er 25 Jahre lang saß. Er wollte keinen engeren Kontakt zu anderen Häftlingen, und die leisteten sich bei unvermeidbaren Begegnungen eher derbe Scherze mit dem Außenseiter, der nichts hörte und sich nur durch Gebärden und kehlig unartikulierte Laute verständlich machen kann. Doch den Knast hat Kuno H. hinter sich.
Seine Aufzeichnungen, die in überarbeiteter Form in absehbarer Zeit als Buch veröffentlicht werden sollen, sind nichts für schwache Nerven. Stephen King könnte ihm die Hand beim Schreiben geführt haben, doch der Erfolgsautor zeichnet sich dadurch aus, dass der Horror in seinen Romanen nur eine Erfindung seiner Phantasie ist. Kuno H. dagegen hat selbst in den Abgründen menschlichen Verhaltens agiert. Was er schreibt, ist Wirklichkeit.
Liebespaar im Auto erschossen
Als er Anfang der 70er Jahre verhaftet wird, ist der gehörlose Mann am tiefsten Punkt seines Lebens angekommen. Er hat bei Lindelbach (Kreis Nürnberger Land) ein Liebespaar im Auto erschossen – und danach das Blut aus den Wunden getrunken. Auch Gutachter halten ihn für hochgradig geisteskrank und damit schuldunfähig. Doch das Nürnberger Schwurgericht beschreitet den einfachsten Weg und verurteilt ihn zu lebenslanger Haft.
Bei den Ermittlungen stellt sich heraus, dass der schmächtige Mann auch unheimliche nächtliche Streifzüge durch die Friedhöfe Nürnbergs und der Region unternommen hatte, Dutzende von Leichen ausgrub – und mit ihnen okkulte „Spiele“ trieb. Satanisten hatten ihm eingeredet, dass er durch das Trinken von Menschenblut sein Gehör zurückbekommen würde.
Die Geschichte von Kuno H. ist aber auch ein Spiegel der Gesellschaft. Der 1932 in einem von Gewalt beherrschten Elternhaus geborene Kuno H. bekam bald am eigenen Leib zu spüren, was der gerade von den Nazis geprägte Begriff vom „unwerten Leben“ tatsächlich bedeutete. Der „Taubstumme“ verbrachte seine Kindheit und frühe Jugendzeit vornehmlich in Heimen. Der Weg war dadurch vorgezeichnet. Nicht wegen schwerer Straftaten, wohl aber wegen deren Vielzahl saß er danach, zu Zeiten des Wirtschaftswunders, ständig im Knast. Was keiner in seinem Umfeld bemerkte: Kuno H. entfernte sich in seinem Kopf immer weiter von der Wirklichkeit. Eine fatale Entwicklung, die mit Leichenschändungen, Blutorgien und einem Doppelmord endete. „Das habe ich alles hinter mir gelassen“, schreibt Kuno H. auf einen Zettel des AZ-Reporters.
Helmut Reister