Der Spar-Fuchs mit dem Billig-Bier

Von der Konkurrenz verachtet, von Sommeliers mit Preisen überschüttet. Warum "Oettinger" die absatzstärkste Brauerei Deutschlands ist.
von  Abendzeitung
Bier am Fließband: Das Brauhaus verfügt über sechs Abfüllanlagen
Bier am Fließband: Das Brauhaus verfügt über sechs Abfüllanlagen © Mike Schmalz

OETTINGEN - Von der Konkurrenz verachtet, von Sommeliers mit Preisen überschüttet. Warum "Oettinger" die absatzstärkste Brauerei Deutschlands ist.

Manchmal, da nervte seine Sparsamkeit sogar die eigene Familie. Wenn Günther Kollmar früher mit seinen Kindern einen Familienausflug unternahm, dann kehrte der Chef der Oettinger-Brauerei unterwegs nicht etwa im Restaurant ein, sondern packte die selbst geschmierten Brote aus. Seine Frau kauft unterdessen immer noch gerne beim Discounter. Und selbst die Firmen-Website ließ Kollmar nicht von einem Fachmann, sondern vom kaufmännischen Geschäftsführer gestalten – mit einem Programm, das er vorher kostengünstig im Internet ersteigert hatte.

Es ist genau diese Schnäppchen-Mentalität die Kollmar zu Deutschlands mächtigstem Brauerei-Chef gemacht hat. 6,61 Millionen Hektoliter hat er im vergangenen Jahr von seinem Billig-Bier verkauft – so viel, wie keine andere Brauerei im Land. Zum Vergleich: Der langjährige Branchenführer Krombacher brachte es zuletzt auf gerademal auf 5,45 Millionen Hektoliter. Ein Erfolg, der viele Neider hat. Aber auch jede Menge gute Gründe.

Das Bier aus der Provinz wird in 10000 Geschäften verkauft

Man muss die riesigen Malzsilos und Hefetanks seiner hochmodernen Brauerei in Oettingen zunächst links liegen lassen, um den Grundstein von Kollmars Erfolg zu verstehen. Es ist bereits später Nachmittag, doch an der Verladestation herrscht noch immer Hochbetrieb. Gabelstapler poltern über den Asphalt, Kisten werden verladen. Immer mehr Bierflaschen verschwinden in blauen Lastwagen, die von hier aus ganz Süddeutschland ansteuern.

Am Ende des Tages werden es rund 100 Fahrzeuge sein, die vollbeladen den Hof verlassen. Wohin sie fahren? Nicht etwa zu Zwischenhändlern, das käme Kollmar viel zu teuer. Stattdessen liefert jeder Fahrer die Kästen direkt zu den rund 10000 Supermärkten, Tankstellen und Getränkemärkten, die das Bier aus der Provinz verkaufen. Auch das Leergut wird später dort wieder abgeholt.

Nur Oettinger-Bier muss man in Oettingen lange suchen

Klingt kompliziert, ist in Wirklichkeit aber raffiniert. Durch diesen in der Branche einmalige Direktvertrieb spart die Brauerei pro Kasten rund vier Euro an Kosten für die Zwischenhändler ein. Die Vertriebsstrategie ist einer der Gründe, warum Oettinger-Bier bis heute mitunter für 3,99 Euro pro Kasten im Supermarkt zu haben sind.

Den anderen sieht man, wenn man durch den Heimatort des 71-Jährigen läuft. Oettingen. Knapp 5000 Einwohner. Ein Wildgehege, eine Minigolfanlage, ein Völkerkundemuseum. Die nächsten Städte heißen Monheim, Nördlingen, Polsingen und Treuchtlingen. Bis Baden-Württemberg sind’s nur ein paar Kilometer. Wirtshäuser gibt’s hier auch. Etwa das Bierstüberl, das Ankerbräu verkauft. Im Eiscafé gibt’s Bitburger. Der Thailänder hat Müllerbräu aus Pfaffenhofen im Angebot.

Günther Kollmar hat mit allen Regeln der Branche gebrochen

Nur Oettinger muss man in Oettingen lange suchen. Im Goldenen Ochsen von Wirt Karl-Jung Bissinger wird man schließlich fündig. 2,10 Euro kostet hier die Halbe. Pils ist noch dreißig Cent günstiger. Immer dienstags schaut Günther Kollmar vorbei. Wohl auch deshalb, weil es eines der ganz wenigen Wirtshäuser in Deutschland ist, in dem Oettinger vom Fass ausgeschenkt wird.

Günther Kollmar hat mit allen Regeln der Branche gebrochen. Als er den Betrieb 1956 übernahm, erkannte er schnell, dass nicht genug Geld da war, um Restaurants zu erwerben und sich in der Gastronomie zu etablieren. Deshalb stürzte er sich lieber auf die Supermärkte, verzichtet zudem bis heute fast komplett auf teure Werbung.

Kollmar zahlt noch immer übertariflich

Dafür steckt der Nordschwabe jeden Cent in die Produktion. Seine vier Brauereien, die an strategisch klug gewählten Orten in Schwerin, Gotha, Mönchengladbach und Oettingen brauen, gehören zu den modernsten Europas. Sie verbrauchen bei der Herstellung nicht einmal halb so viel Strom, wie der Durchschnitt deutscher Brauereien. Das Bier rauscht durch futuristische Alu-Landschaften und riesige Trichter. Früher wurden dabei bis zu 15 Hektar Wasser pro Hektar Bier verbraucht. Jetzt sind es nur noch 2,9. Kostenersparnis und Umweltschutz gehen Hand in Hand.

Im ersten Stock kontrolliert Frank Eisenblätter, der Leiter der Qualitätsabteilung, derweil die Bierproduktion: Seit 18 Jahren ist er schon hier – und glücklich darüber. Schließlich spart Kollmar zwar an den Kosten, nicht aber am Lohn. Er zahlt noch immer übertariflich. „Gutes Bier gibt’s nur von guten Mitarbeitern“, sagt Kollmar.

Sommeliers überschütten das Billig-Bier mit Preisen

Keine Frage, dass so viel Engagement ankommt. Oettingens Bürgermeister Matti Müller ist jedenfalls mächtig stolz auf seinen bekanntesten Bürger und besten Steuerzahler. Im Rathaus hat er sich einen Miniatur-Lastwagen der Brauerei auf den Schreibtisch gestellt und erklärt sich zum Oettinger-BierFan: „Schon im Studium habe ich immer Oettinger getrunken“, erzählt der SPD-Politiker. Damals lag das am Preis. Jetzt schmeckt’s ihm einfach gut. „Vor allem das Pils mag ich sehr gerne.“

Da ist er nicht der einzige. Das Billig-Bier wird zwar von der Konkurrenz noch immer verachtet, von Sommeliers dagegen mit Preisen überschüttet. Zuletzt bekam das alkoholfreie Hefeweißbier eine Auszeichnung. Die Braumeister arbeiten bereits an weiteren Kreationen. Demnächst wird es von Oettinger ein Weißbier mit Grapefruit-Geschmack geben. Auch über ein Erdbeer-Bier wird nachgedacht.

Doch Kollmar hat erkannt, dass es die ganz großen Gewinnsteigerungen auf dem deutschen Markt nicht mehr geben wird. Deshalb fließt Oettinger-Bier jetzt auch in Australien. Außerdem produziert eine Brauerei in Moskau bereits das Billig-Bier aus Bayern. Die reichen Russen und Oettinger – darauf wäre man vor ein paar Jahren auch nicht unbedingt gekommen.

Daniel Aschoff

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