Der Skandal-Knast
NÜRNBERG - Die Leitung der JVA Nürnberg gerät immer mehr unter Druck. Landtags-Grüne verlangen nach der „Schlüssel“-Affäre Aufklärung von der Ministerin.
Nächste Panne bei der Justiz! Zwei Häftlinge der Justizvollzugsanstalt (JVA), die zum Aktenschleppen abkommandiert worden waren, bekamen aus Einfachheitsgründen einen Generalschlüssel für den gesamten Gebäudekomplex in die Hand gedrückt! Damit hatten sie Zugang zu allen 500 Büros von Richtern und Staatsanwälten!
Justizsprecher Thomas Koch bemühte sich um Eindämmung des möglichen Horror-Szenarios. „Wir haben keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Häftlinge den Schlüssel zu unlauteren Zwecken benutzt haben“, sagte er zur AZ. Ungeachtet dessen soll Justizministerin Beate Merk stocksauer über den Vorgang sein. Auch wenn Ministeriumssprecher Stefan Heilmann aufs Bremspedal tritt: „Wir betrachten das momentan als interne Angelegenheit der Nürnberger Justiz und haben keinen Erklärungsbedarf.“ So still und leise wird der skandalöse Vorgang nicht aus dem Weg geräumt werden können. Christine Stahl, rechtspolitische Sprecherin der Grünen im Bayerischen Landtag, verlangt von Seiten des Justizministeriums bereits einen detaillierten Bericht. In einer Erklärung von ihr heißt es: „Dass mit der Aushändigung des Schlüssels auch der Zugang zu Dienstzimmern und damit wichtigen Akten, die aus Datenschutzgründen selbst Abgeordneten des Bayerischen Landtags nicht zugänglich sind, ermöglicht wird, ist schlichtweg inakzeptabel.“ Die Aushändigung des Generalschlüssels an die beiden Häftlinge ist nur das letzte Glied in einer Pannen-Serie, die die JVA in Misskredit gebracht hat.
Vor knapp einer Woche gelang zwei Häftlingen die Flucht. Sie schlugen ein Loch in die Decke eines Sanitärraums, gelangten dadurch aufs Dach und seilten sich mit Bettlaken ab. Einer der beiden, ein Vergewaltiger (37), konnte wenig später an der Theodor-Heuss-Brücke festgenommen werden. Der andere, Jan Jacek Grzywarcz (30) ist seitdem untergetaucht. Eine Flucht aus der JVA war auch einem Albaner geglückt. Auch er kletterte mit einer akrobatischen Sonderleistung aufs Dach und sprang dann sieben Meter tief in die Freiheit. Regierungsdirektor Hans Welzel, Chef der Nürnberger JVA, hatte bei verschiedenen Gelegenheiten zuvor versichert, dass Ausbrüche nicht möglich seien. Sein Stellvertreter erklärte jetzt, dass es keine hundertprozentige Sicherheit gebe.
Im November letzten Jahres wurde ein Häftling (22) von zwei gleichaltrigen Zellengenossen vergewaltigt – mit einem Besenstil. Die Tat fliegt erst auf, als ein anderer Häftling den Vorfall in einem Brief erwähnt, der von einem Staatsanwalt gelesen wird.
Vier Monate zuvor schlitzt sich David S. (23) die Pulsadern auf. Anstaltsarzt Kurt P. überlässt die Behandlung einem Sanitäter und gibt lediglich telefonische Anweisungen. Der Häftling verblutet, der Arzt wird erst nach langem Hin und Her beurlaubt. Die Staatsanwaltschaft hat ihn inzwischen wegen fahrlässiger Tötung angeklagt.
Am vergangenen Freitag unternahm ein Iraker (26) einen Selbstmordversuch. Er konnte reanimiert werden, befindet sich aber weiterhin in lebensbedrohlichem Zustand. Helmut Reister
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