Der Schmuggel mit der gefährlichen Droge Crystal Meth
Es ist eine billige Droge. Es ist eine gefährliche Droge. Im bayerischen Grenzland zu Tschechien kämpfen die Behörden gegen den Schmuggel von Crystal Speed, der für die Täter lukrativ ist: Längst ist der Stoff in Metropolen wie Frankfurt oder München angekommen.
Selb/Bayreuth – „Grüß Gott, wir machen eine Zollkontrolle“, sagt der Beamte. Betont freundlich, betont nett. Niemand sucht hier eine Eskalation.
Zuvor hat Matthias Dürr das Fahrzeug gestoppt und auf einen Parkplatz gelotst. Tagesgeschäft für die Beamten der Zollkontrolleinheit Selb (Landkreis Wunsiedel). Dürr ist stellvertretender Chef des Zolls in Selb.
Früher, als die Grenze zum Ostblock gerade gefallen war, hatte es der Zoll vor allem mit Menschen zu tun, die zu viel billigen Alkohol oder Zigaretten oder gefälschte Markenartikel aus Tschechien nach Deutschland einführten.
Jetzt kämpft der Zoll gegen eine weitaus größere Gefahr. Gegen einen Stoff, der extrem schnell abhängig macht. Der nach einem Hochgefühl einen krassen Absturz folgen lässt. Der das Gehirn schädigt. Der Angstzustände auslöst.
Der Stoff heißt Crystal Meth. Eine synthetische Droge. Der offizielle Name lautet N-Methylamphetamin. Etwa 2008, so sagt Matthias Dürr, begann der verstärkte Schmuggel mit der Droge von Ost nach West. Inzwischen wissen die Fahnder auf beiden Seiten der Grenze, dass der gefährliche Stoff in Drogenküchen in Tschechien hergestellt und auf den einschlägigen Märkten verkauft wird. Grenzkontrollen mit Schlagbäumen gibt es zwischen Deutschland und Tschechien nicht mehr.
Für die Bewohner im Grenzgebiet und die Ausflügler ist das praktisch, man kann hüben wie drüben unkompliziert einkaufen, arbeiten, seine Freizeit verbringen. Aus dem einstigen Grenzland ist – zumindest geografisch gesehen – so etwas wie das Herz Europas geworden. Aber davon, ein vitales Kraftzentrum zu sein, ist die Region weit entfernt. Es gibt weit mehr Sterbefälle als Geburten, viele junge Menschen wandern ab. Gebäude verfallen. Und dann noch Crystal Speed.
Aber es ist nicht so, dass Täter und Abhängige ausschließlich aus der Region stammen. Im Gegenteil. Inzwischen wird der aus Tschechien nach Deutschland geschmuggelte Stoff vor allem in Großstädten wie Nürnberg, München oder Frankfurt verkauft und konsumiert. „Das ist kein regionales Problem“, betont Michael Lochner vom Hauptzollamt Regensburg.
Die Behörde ist zuständig für etwa 260 Grenzkilometer zwischen Tschechien und Bayern. „Wir haben bundesweit ein Stimulanzienproblem“, sagt der Bayreuther Suchtmediziner Roland Härtel-Petri. Aber wenn Schmuggler aufgegriffen werden, dann meist direkt nach der Grenze. Zum Beispiel vom Selber Zoll. 31 Kollegen gehören zur Dienststelle. Die Täter gehen geschickt vor, um den Zoll oder die Polizei zu täuschen.
„Es gibt nichts, was es nicht gibt“, sagt Dürr. Stutzig werden er und seine Kollegen beispielsweise, wenn es in einem gestoppten Wagen besonders unordentlich ausschaut. „Sehr oft ist das Auto total zugemüllt.“ Aber die Augen der Beamten sind geschult. Sie lassen sich von der Unordnung nicht täuschen, untersuchen dann etwa angeblich leere Getränkedosen – und werden nicht selten fündig. „Die Kollegen haben jahrelange Erfahrung.“
Bierdosen, Saft-Tetra-Paks, Chipstüten, Cremedosen – die Zollbeamten kennen alle möglichen Verstecke für die Substanz, die ein wenig so aussieht wie grobkörniges Salz. Und dann gibt es noch den sogenannten Körperschmuggel, bei dem beispielsweise Frauen ein mit Crystal Meth gefülltes Kondom nutzen. Heroin oder Kokain spiele beim Drogenschmuggel im Grenzgebiet kaum noch eine Rolle, sagt Dürr.
Bis zu 98 Prozent der Drogenfunde seien Crystal Speed. Der Handel sei lukrativ, ergänzt Lochner: Ein Gramm werde für 25 bis 40 Euro in Tschechien eingekauft, in Frankfurt am Main beispielsweise werde bis zu 200 Euro dafür gezahlt.
Die Zahlen des Innenministeriums sind alarmierend: 2012 wurden in Bayern 14,3 kg Crystal sichergestellt. Das sind 22 Prozent mehr als noch 2011. Bis Anfang Dezember 2013 betrug die sichergestellte Crystal-Menge bereits mehr als 34 Kilogramm.
An diesem Tag irgendwo zwischen Selb und dem tschechischen Asch stoppt der Zoll unter anderem einen Kleinlaster eines Logistikunternehmens. „Es ist auffällig, dass hier zwei Leute drinsitzen“, erläutert Dürr. Kriterien dafür, welche Fahrzeuge man aus dem Verkehr zieht, gebe es nicht. „Da spielen das Bauchgefühl und die Erfahrung eine große Rolle.“
Die Beamten checken die Rucksäcke der Insassen, das Handschuhfach, ein Spürhund prüft die Ladefläche. Kein Fund. Die beiden Männer dürfen ihre Fahrt fortsetzen. Als nächstes kommt ein roter Kleinwagen dran. Zwei junge Frauen haben in Tschechien Zigaretten gekauft. Auch hier kein Hinweis auf verbotene Substanzen. Nicht selten komme es vor, dass Schmuggler, sobald sie vom Zoll gestoppt werden, schnell noch ihre verbotene Fracht aus dem Autofenster schmeißen. Aber die Beamten bemerkten so etwas, erzählt Dürr. Die Staatsanwaltschaft Hof beantragt durchschnittlich einmal täglich einen Haftbefehl in Sachen Crystal. Die mutmaßlichen Täter kommen aus ganz Deutschland. Behördenchef Gerhard Schmitt sagt, bei den Aufgriffen seien immer größere Mengen Crystal Meth im Spiel.
Die Staatsanwaltschaften entlang der Grenze hätten inzwischen eine gemeinsame Linie und arbeiteten eng zusammen. „Auch in Tschechien laufen erhebliche Ermittlungen“, versichert Schmitt. Auch der Zoll sagt, die Zusammenarbeit klappe gut. Auf deutscher Seite hat es Fachforen gegeben, Gespräche zwischen tschechischen und deutschen Politikern und Behörden. Im Sommer haben sich Staatsanwälte und andere Experten in Bamberg getroffen, um über das Problem zu sprechen. Seit einigen Monaten gibt es bundesweit drei Sonderkommissionen „Crystal“. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat unlängst schärfere Kontrollen in der Grenzregion angekündigt. Die Herstellung von Crystal Speed ist vergleichsweise einfach, es braucht dazu zum Beispiel Erkältungsmittel, die Pseudoephedrin enthalten und Abflussreiniger oder Batteriesäure. Die Produzenten müssen kein aufwendiges Chemielabor einrichten. „Es reicht eine Auflaufform“, sagt Zoll-Experte Lochner.
Was die Droge mit dem Menschen macht, der sie konsumiert, weiß Roland Härtel-Petri. Der Bayreuther Suchtmediziner stellt seit 2009 einen Anstieg von Crystal-Abhängigen fest. „Und 2010 ging es richtig los.“ Die Patienten hätten berichtet, man habe von da an keine Angst mehr gehabt, sich den Stoff in Tschechien zu besorgen. „Es würde sich anfühlen wie Bratwürste kaufen.“ Die Droge putscht auf. „Egal, was Sie machen, es macht Ihnen Freude“, schildert Härtel-Petri. Danach werde man depressiv, wisse aber, was hilft: Crystal Meth. Man könne nächtelang durchfeiern. Oder ohne Pause arbeiten.
Crystal Meth entspreche deshalb auch einem Zeitgeistphänomen: Das Selbstwertgefühl steige, alles mache Spaß, Schmerzempfindung werde reduziert, man werde nicht müde, könne mehr Alkohol trinken, sei sexuell angeregt. „Es ist eine Sexdroge“, sagt der Mediziner. Studien aus USA zeigten: Crystal-Konsumenten hätten vermehrt ungeschützten Geschlechtsverkehr, HIV- und Hepatitis-Infektionen seien höher als bei Heroinabhängigen. Denn Crystal Meth schnupfen nicht nur exzessive Partygänger. Auch Menschen in eintönigen Berufen konsumieren die Droge, um Freude an ihrem Job zu finden.
Dann gibt es die Workaholics, die Höchstleistungen im Job bringen müssen inklusive Überstunden und Freizeitverzicht und nur durchhalten, wenn sie sich mit illegalen Substanzen stimulieren. Immer häufiger beobachten auch Experten, dass junge Mütter zur Droge greifen, um den anstrengenden Alltag mit Kleinkind zu bewältigen. Den typischen Konsumenten gibt es nicht. Aus den USA sind Fotos bekannt, die abgemagerte Crystal-Abhängige mit Pickeln im Gesicht und mit abgestorbenen Zahnstümpfen zeigen. Härtel-Petri sagt, in Deutschland seien solche Horrorbilder eigentlich nicht denkbar. „Drei bis vier Jahre geht es subjektiv gut“, sagt er über die Abhängigkeit. Und wer Zahnprobleme habe, werde im deutschen Gesundheitssystem auf Kosten der gesetzlichen Kasse behandelt – egal, ob er einen Job hat oder Hartz-IV-Empfänger ist.
Wer die Suchtberaterin Urte Deisenhofer in ihrem Bayreuther Büro im sechsten Stock besucht, kann sich an einer schönen Aussicht auf die Innenstadt erfreuen. Und man kann mit einer freundlichen Frau und Expertin plaudern, die Süchtige nicht verurteilt, sondern nach Lösungswegen sucht. Wenn aber Crystal-Abhängige kommen, bleibt kaum Zeit für ein ruhiges Gespräch. „Die Leute sind sehr hektisch“, sagt Deisenhofer. „Sie reden sehr schnell, können kaum still sitzen.“ Man müsse von der klassischen Struktur der Suchtberatung – also Terminvergabe und dann Gespräch – abweichen. „Man muss da spontan reagieren.“
Aber wer zu Deisenhofer kommt, hat den ersten Schritt aus der Abhängigkeit schon gemacht. Sie schlägt vor, was möglich ist: Eine Entgiftung in der Klinik. Eine Reha. Danach möglicherweise der Gang zu einer Selbsthilfegruppe. „Ein Erfolg ist es schon, wenn jemand den Schritt hierher macht“, sagt sie. Ein positives Erlebnis in der Beratungsstelle sei wichtig, damit der Süchtige die nächsten Schritte auch tatsächlich mache.
Denn die Erfolgschancen einer Therapie sind gut, wie Suchtexperte Härtel-Petri sagt. Da die Crystal-Abhängigen unter Psychosen litten, sei der Leidensdruck groß, etwas zu unternehmen – also sich professionelle Hilfe zu suchen. Die Süchtigen hätten einen Verfolgungswahn, glaubten beispielsweise, jemand lauere ihnen auf. Oft brauche es aber den Anschub von außen: ein Arbeitgeber, der mit Jobverlust drohe, oder Angehörige.
Härtel-Petri macht den Betroffenen Mut: „Es gibt eine Perspektive. Die Hirnschäden sind rückbildungsfähig.“ Allerdings sei mehr als ein Jahr therapeutische Begleitung notwendig. „Das Gehirn braucht Zeit, um sich zu erholen.“ Eine Therapie müsse langfristig angelegt sein, es sei eine harte Zeit.
Der Mediziner sagt, die Menschen bräuchten nach ihrer Abhängigkeit und in ihrer Therapie eine Perspektive – eine Möglichkeit wäre es, jungen Menschen während der Therapie die Chance zu geben, ihren Schulabschluss nachzuholen. Viele Ansätze kenne man schon aus anderen Ländern, wie den USA oder Australien. „Deutschland muss das Rad nicht neu erfinden.“Gehirn braucht Zeit, um sich zu erholen.“
Eine Therapie müsse langfristig angelegt sein, es sei eine harte Zeit. Der Mediziner sagt, die Menschen bräuchten nach ihrer Abhängigkeit und in ihrer Therapie eine Perspektive – eine Möglichkeit wäre es, jungen Menschen während der Therapie die Chance zu geben, ihren Schulabschluss nachzuholen. Viele Ansätze kenne man schon aus anderen Ländern, wie den USA oder Australien. „Deutschland muss das Rad nicht neu erfinden.“
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