Der Nachschub aus dem Maulaffenstall

NÜRNBERG - Der Kabarettist Sigi Zimmerschied im AZ-Interview über seine neue Beschwörung der „Zeitgeister“ im Gostner Hoftheater – und das niederbayrisch- fränkische Separatisten-Glück in Nürnberg.
Vor 28 Jahren war Sigi Zimmerschied in Niederbayern einer der beiden „Verhohnepeopler“, die bei einer Himmelskonferenz einen ermatteteten Gottvater durch den überirdischen Erzengel-Funktionär Michael entmachten ließen. Das brachte gutbürgerliche Empörung im „schwarzen“ Passau, eine Klage wegen Gotteslästerung (mit Freispruch in letzter Instanz) und ein Image für die Region, das so haltbar blieb wie Überschwemmungsmeldungen und das Trara vom Polit-Aschermittwoch. Schon ein Jahr später – Partner Bruno Jonas hatte seine Blicke bereits gen Münchner Lach- und Schießgesellschaft gerichtet – gab es Sigis erstes Profi-Solo unter dem Titel „Zwischenmenschen“. Seither reißt die Serie – nur mal unterbrochen vom Versuch, das kritische Volkstheater neu zu erfinden – nicht mehr ab. Nürnberg war früh eine Satire-Dependance des Kabarettisten. Erst beim Kulturzirkus, bis heute alljährlich im Gostner Hoftheater. Programme wie „Danemlem“, „Ihobs“, „Hirnrisse“ und „Ausschwitzn“ hinterließen tiefe Spuren. Parallel zur Premiere von „Zeitgeister“ (13. bis 24. Januar im Gostner und im Hubertussaal) ist Zimmerschied in Marcus Rosenmüllers Film „Die Perlmutterfarbe“ zu sehen.
AZ: Eigentlich wollten Sie den „Reißwolf" füttern, aber jetzt beschwören Sie lieber „Zeitgeister". Ist das ein Zeichen dafür, dass Sie die Erkenntnisse der Vergangenheit lieber nicht schreddern?
SIGI ZIMMERSCHIED: Es gab da zum einen das Gespür, dass der Reißwolfstoff noch Reifezeit braucht, zum anderen die wachsende Faszination Texte, Filme, Figuren und Fragmente, die teils dreißig Jahre auseinander liegen, so zu montieren, dass sie miteinander korrespondieren.
Sie spotten nach Ihrer Zeitrechnung schon seit 35 Jahren – öffentlich und oft ätzend – über die Welt, die Sie umgibt. Hatten Sie anfangs den Antrieb, damit ganz direkt etwas zu bewirken?
Ja, und den habe ich immer noch. Nur bezog er sich nie auf die Umstände, sondern immer auf mich. Ich habe mir mit den Waffen des Kabaretts, der Ironie und der Satire einen Freiraum erkämpft, den mir die Gesellschaft freiwillig nicht geben wollte. Das ist der Unterschied zwischen Satiriker und Missionar.
Wann hat sich das relativiert?
Nie, denn das hieße ja, ich wäre tot.
Der Boden, auf dem Ihre Satire wucherte, war das schwarze Niederbayern. Hätten Sie ohne Passauer Verhältnisse womöglich einen friedlicheren Beruf ergriffen?
Es war nie das „schwarze Niederbayern", es war immer das farblose, das assimilationsbereite Nirgendwo, das mich provozierte. Die Opportunisten, die Feigen, die Mitläufer waren immer mein Thema. Alles andere sind willkommene Gegner.
Sie waren lange Jahre der Schrecken der Provinz, dort immer mit dem Hintergedanken gesehen, ob man ihn nicht doch verbieten könnte. Heute ist die Kabarettbühne eine Freihandelszone für unverschämte Wortwahl. Fehlt Ihnen da manchmal etwas?
Mir fehlt nichts, weil ich mich nicht von Masochismus ernähre, sondern von der Unauflöslichkeit der Widersprüche. Und die gibt's immer und überall.
Als Sie mit durchdringendem Blick und stechendem Zeigefinger aufs Publikum losgingen, wurde das als aggressiv wahrgenommen wie es höchstens noch Jörg Hubes Herzkasperl wagte. Heute sind Sie einzugliedern als Quotenbringer beim „Scheibenwischer". Hat sich Zimmerschied geändert oder das Kabarett?
Keine Sorge, ich habe mich nicht verändert. Und meine ab und zu Anwesenheit in Kabarettformaten entspringt eher dem schlechten Gewissen von Fernseh-Redakteuren oder einem kuriosen Raritätenproporz als einer fundierten Haltung. Ich bin immer noch schwer medienkompatibel. Erstaunlicherweise ist die inhaltliche Zensur durch eine formale Zensur abgelöst worden.
Was heißt das?
Sagen kann man wirklich mehr als früher, allerdings nur in der quotensicheren Form des dialektfreien Schießbuden-Wortkabaretts. Das schwerer vermittelbare literarische, schauspielerische oder visuelle Kabarett wird verhindert. Die gegenwärtige kabarettistische Formenlandschaft ist öder als vor hundert Jahren. Das musste ich schmerzhaft erfahren, als ich ein Format für den BR zu entwickeln versuchte.
Mit der juxenden Comedian-Satire als TV-Entertainment haben Sie keine Probleme?
Wie sollte ich Probleme haben mit etwas, was mich ein Leben lang begleitet hat? In meiner Klasse 1972, also in den Nachwehen der angeblich politisch so hoch aktiven 68iger Zeit, haben 95% Otto gekannt, also Comedy, 70% Insterburg, also Comedy, vielleicht 40 % Heinz Erhardt, gehobene Comedy, dann 5% Hildebrandt, 3% Hüsch, 1% Qualtinger. Das Verhältnis zwischen ambitionierter Denklust und billiger Unterhaltungssucht ist seit Sophokles eine Konstante.
Das klingt nicht gerade optimistisch...
Ich bin überzeugt: Dieter Hildebrandt hatte in Nürnberg selbst zu seinen besten Zeiten quantitativ nie eine Chance gegen Herbert Hisel. Und die Mario Barths der Siebziger spielten als Humoristen und Alleinunterhalter auf Betriebsfeiern und Sportfesten. Durch die vielen Sender wird der Schwachsinn nur transparenter. Aber er war immer da. Also: Was soll sich groß verändert haben?
Sie sind immer wieder als Film-Schauspieler zu sehen. Wie steht es um die Anteile von Gesinnung und Komödiantik beim Live-Satiriker Zimmerschied?
Sie halten sich die Waage und sind untrennbar miteinander verbunden. Jede gute Komödie ist eine Tragikomödie und jedes Gesinnungspostulat ohne Ironie ist eine Lüge. Der Mensch ist heillos und das bereitet dem Satiriker unanständigerweise Vergnügen.
Die Karikatur von schwadronierenden Alltags-Typen, die gnadenlose Parodie der Selbstgerechten gehört zu Ihren besonderen Mitteln. Finden Sie die Vorbilder 2008 auf gleiche Weise wie 1973?
Mühelos, der Maulaffenstall quillt über.
Was hat Sie jetzt bei der Wiederbegegnung mit ihren Satire-Figuren von früher am meisten überrascht?
Deren Lebendigkeit und Aktualität. Das hat was trauriges und was erfreuliches. Es hat sich leider nichts verändert, aber es ist auch nicht schlimmer geworden.
Es gib die schöne Gostner Januar-Tradition mit der aktuellen Zimmerschied-Woche. Was war es, das Sie Nürnberg als Dauer-Stützpunkt auswählen ließ?
Manchmal wird aus einer Vernunftsehe eben doch noch die große Liebe. Ein niederbayerisch-fränkisches Separatistenglück. Interview: Dieter Stoll