"Der Markt zahlt 20.000 Euro am Nockherberg"

München - Alle drei Parteien wollen die CSU und Ministerpräsident Markus Söder bei der Landtagswahl im Oktober herausfordern - das wird schwer genug. Doch Katharina Schulze, Ludwig Hartmann (Grüne), Markus Rinderspacher (SPD) und Hubert Aiwanger (Freie Wähler) haben klare Vorstellungen, was in Bayern besser werden muss.
In der AZ diskutieren die Oppositionspolitiker zusammen.
Teil zwei des großen Interviews. Hier geht`s zum ersten Teil.
Beim Thema Wohnungsnot sind sich wohl alle einig, dass ebenfalls Handlungsbedarf besteht. Aber was sagen Sie den Menschen, die jetzt ein Mehrfamilienhaus vor die Haustür gesetzt bekommen sollen und das nicht möchten?
AIWANGER: Ich glaube, dass es auf dem Land noch Entwicklungspotenzial gibt, weil wir dort viel Leerstand haben – und sehr viele alte Bauernhöfe, wo früher mit Knecht und Magd 20 Personen in einer Großfamilie gewohnt haben. Heute ist die alte Frau allein in dem großen Haus. Diese Reserven müssen wir aktivieren.
Wie wollen Sie das machen?
AIWANGER: Durch Zuschüsse. Es sind doch häufig ganz kleine Probleme, zum Beispiel, dass die Entsorgung des Bauschutts so teuer ist. Früher hat man Sand und Ziegel in den Waldweg reingeräumt und das Holz verheizt. Heute ist der alte Balken Sondermüll. Wir müssen Wege finden, um Land und Bausubstanz wieder zu aktivieren. Wir sind keine Befürworter der massiven Nachverdichtung in München. Die Städter sagen doch schon: Selbst wenn das Wohnproblem in München gelöst würde, hast noch die Kinderkrippe, den Verkehrskollaps, den Supermarkt – das musst Du alles hinterherziehen. Wir können das Wohnproblem nur mit intelligenten Ansätzen auf dem Land lösen.
SCHULZE: Der alleinerziehenden Mutter mit zwei Kindern in München hilft es nichts, wenn Du ihr sagst: Mein Programm hilft der Oma beim Entsorgen des Bauschutts.
AIWANGER: Doch, indirekt, weil ich die Konkurrenz für sie reduziere. Der, der mit ihr um den Wohnraum in München kämpft, sollte lieber in Landshut seinen Bauernhof besser nachnutzen.
SCHULZE: Wenn Dein Job und Dein Lebensmittelpunkt in der Stadt sind, ist das keine befriedigende Antwort. Dass wir prinzipiell gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Bayern schaffen sollten, dass wir ein schnelles Internet brauchen, dass jemand, der freiberuflich ist, nicht in die Stadt zieht, ist klar. Es werden trotzdem weiter Leute in die Stadt ziehen.
AIWANGER: Natürlich, aber es dürfen nicht mehr so überdurchschnittlich viele sein.
SCHULZE: Das heißt aber doch, dass wir in einer boomenden Stadt wie München andere Wege gehen müssen: Genossenschaftlichen Wohnraum stärker fördern, sozialen Wohnungsbau vorantreiben, klug nachverdichten!
AIWANGER: Aber wenn wir bei zwei Millionen Menschen in München sind, ist der Kollaps an die Wand geschrieben.
Ist es nicht so, dass sich – gerade aus Münchner Perspektive – der politische Diskurs total entfernt hat vom Gefühl der Leute? Die meisten Menschen in dieser Stadt haben das Wohnungsproblem für sich gelöst und doch eher den Eindruck, dass dieses enorme Wachstum nicht mehr verträglich ist.
RINDERSPACHER: Die bayerische Wohnungsbaupolitik hat eine soziale Schieflage. Zwei Drittel aller Wohnungsbaugelder des Freistaats Bayern gehen in den ländlichen Raum zur Förderung von Doppelhaushälften und Einfamilienhäusern. Wir brauchen mehr Geschosswohnungsbau, insbesondere in den Ballungszentren. Also dort, wo das Wachstum existiert. Allein München wächst im Monat um 2300 Neubürger. Deshalb brauchen wir eine Umverlagerung der Fördergelder in den sozialen Wohnungsbau. 2017 haben wir dafür nur 87 Millionen Euro an Förderung durch den Freistaat gehabt – ein historischer Tiefststand in den letzten 30 Jahren. Außerdem müssen wir deutlich mehr Investitionsmittel dafür verwenden, bezahlbares Wohnen zu fördern, damit nicht nur Wohnungen für Araber und reiche Russen gebaut werden.
Damit haben Sie aber noch nichts gegen das angesprochene Gefühl getan. Und Ihr Parteifreund im Münchner Rathaus wird auch betonen, dass die Flächen fehlen.
RINDERSPACHER: Ich teile Ihre Auffassung, dass wir in München keinesfalls Wachstum um jeden Preis brauchen. Wir dürfen den Gartenstadt-Charakter der Vorstädte nicht kaputtmachen. Deshalb müssen wir an der einen oder anderen Stelle auch in die Höhe bauen, anstatt in dramatischer Art und Weise nachzuverdichten.
HARTMANN: Wenn man im Innenstadtbereich ist, wird ganz anders diskutiert. Da wird auch überall gebaut – aber am Bedarf vorbei. Schauen wir uns doch den Nockherberg an: Wenn der Quadratmeter auf dem freien Markt nicht unter 10 000 Euro zu haben ist – für wen wird denn da gebaut? Wir haben in Bayern 350.000 Sozialwohnungen in 30 Jahren verloren. 150.000 haben wir noch. Und warum? Weil ständig die Sozialbindungen auslaufen.
Wie wollen Sie das verhindern?
HARTMANN: Sozialbindung auf 50 Jahre mindestens und wie Hessen auslaufende Sozialbindungen ankaufen. Das kann Bayern auch, Bayern schwimmt im Geld wie noch nie. 15.000 Sozialbindungen laufen in den nächsten vier, fünf Jahren bayernweit aus. Da sollten wir ran! Beim Wohnungsbau schlägt mein Herz links...
RINDERSPACHER: Erfreulich!
HARTMANN: Da muss der Staat mehr durchgreifen und ganz ehrlich sagen: Wenn München um 300 000 Menschen wachsen sollte in den nächsten Jahren, werden die nicht im Einfamilienhaus wohnen. Das wird nicht funktionieren. Das heißt aber auch, dass in den Umlandgemeinden an den S-Bahnhöfen nicht nur Einfamilienhäuser und Doppelhaushälften entstehen dürfen, sondern Geschosswohnungsbau. Und wenn diese Wohnungen gefördert werden, müssen es Mietwohnungen bleiben. Immer.
SCHULZE: ...und wir müssen die Dritte Startbahn endlich beerdigen, die ja auch mehr Zuzug bedeutet.
AIWANGER: Wir werden die Probleme Münchens nicht mit noch mehr Sozialwohnungen lösen können. Wir müssen das Wachstum aufs Land steuern. Wir haben noch andere Entwicklungskerne: Landshut, Regensburg, Würzburg, Augsburg Nürnberg. Da haben wir noch massiv Potenzial im Nachverdichtungsbereich.
RINDERSPACHER: Das ist Wolkenkuckucksheim. Die Bürgerinnen und Bürger stimmen mit den Füßen ab. Wenn München so attraktiv ist und gute Arbeitsplätze bereitstellt, dass jeden Monat 2300 Menschen zuziehen, müssen wir das Wachstum maßvoll gestalten.
AIWANGER: Die Firmen werden umdenken müssen, wenn der Angestellte sagt, er arbeitet lieber für 500 Euro weniger in Landshut als hier. Dann muss der Chef mit seinem Architekturbüro eben raus aus der Stadt.
RINDERSPACHER: Das ist sozialistische Planwirtschaft.
AIWANGER: Nein Markus, Du willst den Markt aushebeln. Aber der Markt zahlt heute 10.000 Euro am Nockherberg und auch noch 20.000.
Lesen Sie im dritten Teil am Montag, was die Pflege-Pläne der Parteien sind.