Der Mann, der Quelle den endgültigen Todesstoß gab

Thomas Middelhoff ist der Manager mit den wohl umstrittensten Entscheidungen. Am Niedergang sind aber auch andere schuld.
von  Abendzeitung

Thomas Middelhoff ist der Manager mit den wohl umstrittensten Entscheidungen. Am Niedergang sind aber auch andere schuld.

NÜRNBERG/FÜRTH Im Hochsommer des Jahres 1994 sitzt Madeleine Schickedanz im ersten Stock der Schickedanz-Villa in Fürth-Dambach am Sterbebett ihrer Mutter Grete. Drei Tage lang hält sie ihre Hand. Als die Patriarchin am 23. Juli mit 82 Jahren stirbt, hinterlässt sie eines der sagenhaftesten Vermögen der Bundesrepublik Deutschland – rund sechs Milliarden Mark.

Das meiste davon fiel an die Schickedanz-Stiftung unter der Leitung Madeleines und ihrer Stiefschwester Louise. Das Quelle-Imperium, so hatte es Grete Schickedanz verfügt, sollte ungeteilt erhalten bleiben. Die beiden Familien-Stämme – der um Madeleine Schickedanz auf der einen und der um Halbschwester Louise und deren Mann Hans Dedi auf der anderen Seite – sollten das Unternehmen gemeinsam weiterführen.

Keiner der Manager findet ein Mittel gegen den Niedergang

Doch das gewaltsame Zusammenschweißen der beiden Sippschaften sorgt für Dauerstreit. Das Unternehmen Quelle verschleißt Vorstands-Chefs ohne Ende – auch Wolfgang Bühler, Madeleines zweiten Ehemann, der nach der Scheidung 1995 den Hut nehmen musste.

Keiner der hochbezahlten Manager findet ein Mittel gegen die Erosion, die die wachsende Konkurrenz der Media-Märkte, Ikea oder Amazon bei der Quelle verursacht. Man sucht das Heil in der schieren Größe und tut sich mit dem ebenfalls schwächelnden Handelsriesen Karstadt zusammen. Es sollte der Anfang vom Ende zweier traditionsreicher Handelsmarken sein.

Denn schon im ersten Jahr verfehlt die neue Karstadt-Quelle AG die eigene Gewinnprognose: Das Unternehmen mit jetzt 116.000 Mitarbeitern verdient nur 260 Millionen Euro – satte 100 Millionen weniger als erwartet. Als sich die Situation im Laufe des Jahres 2000 nicht bessert, muss auch Vorstands-Chef Walter Deuss gehen.

Nachfolger Wolfgang Urban gibt erstmal noch mehr Geld aus: Für die Textilkette Sinn-Leffers oder das Pariser Modehaus Afibel. Urban steigt ins Fitness-Studio-Business ein.

2002 feiert die Quelle 75.Geburtstag. Doch das klassische Versandgeschäft gerät immer tiefer in die Krise – und im Internet wird noch nicht viel verdient.

Als im Jahr 2003 auch die Umsätze bei Karstadt zurückgehen, muss Urban handeln:Er verkauft fünf Karstadt-Häuser an die Privatbank Sal. Oppenheim und mietet sie zu horrenden Preisen zurück. Die Saat ist gelegtfür ein System, das sein späterer Nachfolger Thomas Middelhoff „perfektionieren“ und Karstadt-Quelle vollends dem Untergang entgegentreiben sollte.

Dennoch steht Karstadt-Quelle 2004 vor der Pleite, Urban muss gehen, sein Nachfolger wird Christoph Achenbach, der Chef des Versandhandels. Viele bei der Quelle setzen ihre Hoffnung in den ruhigen Westfalen. Doch starker Mann im Konzern wird Thomas Middelhoff, der Aufsichtsrats-Boss. Der ehemalige Bertelsmann-Chef hat das Vertrauen von Eignerin Madeleine Schickedanz. Inständig habe sie den Mann mit dem breiten Dauergrinsen angefleht, ihren Laden zu übernehmen, kolportiert man in der Firma.

Madeleine fühlt sich dem Vermächtnis ihrer Mutter verpflichtet

Middelhoff malt die Zukunft der Firma in den buntesten Farben – und Madeleine glaubt ihm. Sie steckt Millionen und Abermillionen ins Unternehmen. Seit 2004 kauft sie für 390 Millionen Euro Aktien. Madeleine fühlt sich verpflichtet, das Vermächtnis ihrer Mutter zu erfüllen.

Obwohl sie ihr gesamtes Vermögen riskierte, zog sie sich immer mehr aus dem Konzern zurück – charakteristisch für die Frau, der das Riesen-Erbe Verpflichtung und Last zugleich war. Ums Geschäft kümmerte sich längst Madeleines Ehemann Nummer drei, Leo Herl, einst Büroleiter ihres zweiten Gatten Wolfgang Bühler.

Während sich Madeleine beim Bankhaus Sal. Oppenheim Geld leihen musste und ihr gesamtes Vermögen in Deutschland verpfändete, stieg der andere Familien-Stamm um Hans Dedi weitgehend aus.

Leo Herl und Dedi-Schwiegersohn Ingo Riedel vereinbarten Ende Juli 2004 bei einem Fürther Notar, das Schickedanz-Vermögen aufzuteilen – entgegen den Wünschen der verstorbenen Firmen-Patriarchin Grete Schickedanz. Madeleine und ihre Kinder bekamen 380 Millionen, die Dedi/Riedel-Sippe gut 480 Millionen Euro. Sie stießen die meisten ihrer Aktien später ab und retteten so ihren Reichtum.

Thomas Middelhoff indes wird 2005 auch Vorstands-Chef, nachdem der glücklose Achenbach abgetreten war. Der Ausverkauf beginnt: Unter anderem verscherbelt Middelhoff 74 kleine Kaufhäuser, die unterm Namen Hertie nur noch ein kurzes Leben haben.

Ein Jahr später verhökert der „Macher“ an der Konzern-spitze die gesamten Karstadt-Warenhäuser für 4,5 Milliarden Euro. Anrüchig erscheint vielen, dass sich unter den Käufern ein Immobilien-Fonds befindet, an dem Middelhoff und seine Ehefrau beteiligt sind.

Tatsache ist: Der Deal verschafft dem Konzern Liquidität – unter anderem zum Kauf des Touristik-Konzerns Thomas Cook. Doch Karstadt-Quelle muss die Häuser zu immensen Kosten zurückmieten.

15 Millionen Euro für 185 Tage an der Spitze des Konzerns

Eine ziemlich große Dummheit beging Middelhoff in den Augen vieler, als er 2007 Karstadt-Quelle in Arcandor umtaufen ließ. Zwei seit Jahrzehnten eingeführte Marken verschwanden vom Markt.

Doch die rasante Talfahrt ging weiter, obwohl Strahlemann Middelhoff jedem der es hören wollte, erklärte, die Rettung sei geglückt. Arcandor brauchte immer mehr Geld. Wieder war Sal. Oppenheim zur Stelle – nicht ohne Sicherheiten, versteht sich.

Anfang 2009 ist es so weit: Die Banken drehen den Geldhahn zu. Middelhoff, der Heilsbringer, tritt ab. Nicht ohne ein kleines Geldgeschenk, versteht sich. Sein Nachfolger, der ehemalige Telekom-Manager Karl-Gerhard Eick, hat genau 185 Tage, um zu kämpfen – und am Schluss 15 Millionen Euro Abfindung zu kassieren.

Am 8. Juni muss Arcandor Insolvenz anmelden. Am Tag zuvor bricht Madeleine Schickedanz zusammen und kommt auf die Intensiv-Station einer Schweizer Klinik. Während vor der Bundestags-Wahl das Laienspiel-Theater um den Druck des letzten Quelle-Katalogs aufgeführt wird, behauptet die Quelle-Erbin, künftig von 600 Euro im Monat leben zu müssen.

Bei Quelle halten sie diese Äußerung der Ex-Milliardärin, die riesige Immobilien auf ihre Kinder überschrieben hat und in der Schweiz noch ein sündteures Domizil besitzt, für einen schlechten Witz. Spätestens seit letzter Woche lacht keiner mehr drüber.

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