Der Mann, der Nürnberg ins Heute führte, ist tot!

„Der Reeser“ wurde 92 Jahre alt. Keiner legte so viele Grundsteine wie der ehemalige SPD-Politiker – und keiner war wohl so streitbar wie der Mann, der während seiner Amtszeit seine Partei verließ.
von  Härtel/Will
Großformatig wurde in den 1970er Jahren für die erneute Kandidatur von Urschlechter geworben – da mochte ihn die SPD noch.
Großformatig wurde in den 1970er Jahren für die erneute Kandidatur von Urschlechter geworben – da mochte ihn die SPD noch. © AZ

 

NÜRNBERG Die Stadt trauert: Alt-Oberbürgermeister Andreas Urschlechter, SPD-Polit-Patriarch und im Volksmund einfach „der Reeser“ genannt, ist tot. Der Nürnberger Ehrenbürger starb im Alter von 92 Jahren im Klinikum. Er war der Mann, der Nürnberg ins Heute führte...

Er war ein Mann der Superlative

Urschlechters Amtszeit umreißt eine unvergleichliche Ära. Er war 1957 das jüngste und am Ende, 1987, das dienstälteste Stadtoberhaupt einer deutschen Großstadt. Fünf Mal haben die Nürnberger das politische Schwergewicht mit großer Mehrheit auf den OB-Sessel gehievt. Sein bestes Ergebnis erzielte Urschlechter 1969 – mit 67,4 Prozent!

In die Amtszeit des promovierten Juristen, der vor seiner OB-Zeit Nürnbergs Wiederaufbau-Referent war, fallen wirtschaftliche Blüte und sozialer Aufschwung. Es gibt wohl kein Nürnberger Stadtoberhaupt, das so viele Grundsteine gelegt, so viele Richtfeste gefeiert und so viele Einweihungen mitgemacht hat. Einige Beispiele: die Meistersingerhalle, die U-Bahn, die Trabantenstadt Langwasser, der Rhein-Main-Donau-Kanal.

Am Ende wurde er dünnhäutig

Doch am Ende erwies sich das robuste Kraftpaket als äußerst dünnhäutig – und verließ die politische Bühne wie in einem absurden Theaterstück: 1982 wandte er sich von der SPD ab, weil die sich bereits öffentlich Gedanken gemacht hatte über einen Nachfolger – und weil er bei ihr nach dem „Komm“-Justiz-Skandal um 141 verhaftete Jugendliche „linksradikale Tendenzen“ ausgemacht haben wollte. Urschlechters Rache: Er setzte sich im Wahlkampf um seine Nachfolge vehement für den CSU-Kandidaten Günther Beckstein ein. Doch Beckstein unterlag gegen SPD-Mann Peter Schönlein, den Urschlechter für ein Leichtgewicht hielt. Da hatte der einstige „rote Fuchs im Wolff’schen Bau“, wie ihn Beobachter wegen seines gewieften und gefürchteten Taktierens respektvoll nannten, seinen Einfluss berschätzt.

Mit 68 schied er aus dem Amt

Urschlechters Versuch, nach seinem Austritt aus der SPD in die CSU zu wechseln, war schon 1982 fehlgeschlagen. Die Schwarzen wollte dem alten Widersacher kein politisches Asyl gewähren. Allerdings gestanden sie ihm und seiner Frau Lilo bei den CSU-Bällen in der Meistersingerhalle immerhin regelmäßig Plätze am Ehrentisch zu. 1987 schied er aus dem Amt – da war er 68 Jahre alt. Sein Privatleben hat Urschlechter, Vater zweier Töchter als einer früheren Ehe, immer aus der Politik herausgehalten.

Er zog sich ins Private zurück

Schon seit Jahren verweigerte er zu runden Jubiläen alle offiziellen Gratulationen. Seinen Lebensabend verbrachte er auf Reisen – und an der Seite seiner Lilo in einer Terrassen-Eigentumswohnung in Langwasser – jenem Stadtteil, dessen Aufbau eng mit seinem Namen verbunden ist.

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