Der Killer von Rothenburg: Darum erschoss er seine Eltern
Michael R. (28) lebte in einer Traumwelt. Er hatte schwere psychische Störungen und belog alle Menschen in seinem Umfeld.
ROTHENBURG/TAUBER Für die Behörden, Polizei und Staatsanwaltschaft ist das Familiendrama von Rothenburg abgeschlossen. Michael R. (28), das steht fest, hat am vergangenen Wochenende seine Eltern und dann sich selbst erschossen. Doch in der Bevölkerung gehen die Diskussionen unvermindert weiter. Die Frage, die alle interessiert: Was war der Grund für das unfassbare Verbrechen?
Unmittelbar nach der Bluttat in der Doppelhaushälfte am Rand der historischen Altstadt beherrschte das blanke Entsetzen die Köpfe von Freunden, Bekannten und Nachbarn der Familie. Keiner konnte sich vorstellen, was der Auslöser für den Amoklauf des 28-jährigen Sohnes war. Auch die Kripo sprach von einem Rätsel. Inzwischen sind die Einschätzungen im Umfeld der Familie nüchterner geworden – und durch die Fassade der angeblich heilen Welt ziehen sich tiefe Risse.
Nach außen machte die Familie einen intakten Eindruck
Nur auf Drängen wird von den Ermittlungsbehörden bestätigt, dass das Haus der Familie im Juni von Einsatzkräften, an denen auch der Zoll beteiligt war, durchsucht worden ist. Nachbarn sahen, wie Michael R. abgeführt wurde – und von Beamten verschiedene Beutel aus dem Haus geholt und verladen wurden. Danach wurde hinter vorgehaltener Hand von Drogengeschäftes des Sohnes getuschelt.
Offiziell heißt es dazu, dass er nicht als Beschuldigter in Zusammenhang mit einer Straftat galt. Nach zuverlässigen AZ-Informationen war Michael R. jedoch als mutmaßlicher Kontaktmann zu Kreisen, in denen mit GHB-haltigem Lösungsmitteln gehandelt wird, ins Visier geraten. Der Stoff, der in frei verkäuflichen Lösungsmitteln enthalten ist, hat eine berauschende Wirkung und wird vorwiegend von jungen Leuten konsumiert. Von der Durchsuchung versprachen sich die Ermittler offensichtlich Hinweise auf die dazu passenden Vertriebswege.
Man kann davon ausgehen, dass der behördliche Zugriff bei den als bieder geltenden Eltern von Michael nicht gerade Wohlgefallen ausgelöst hat. Ein guter Bekannter der Familie versicherte der AZ, dass es in letzter Zeit zu deutlichen Spannungen gekommen sei, auch wenn nach außen hin das Bild einer intakten Familie aufrecht erhalten werden sollte. Ausschlaggebend für die stärker werdenden Dissonanzen dürften nach Erkenntnissen der Ermittler die mehr und mehr zu Tage tretenden psychischen Auffälligkeiten von Andreas gewesen sein.
Als ein Versager wollte Michael nicht dastehen
„Er war ein Spinner und hat sich eine Traumwelt aufgebaut“, sagte ein Altersgenosse des Mörders zur AZ. Diese Einschätzung wird durch eine Vielzahl von Aussagen aus dessen Umfeld gestützt. So, wie es aussieht, wollte er Anerkennung um jeden Preis – und log, dass sich die Balken bogen. Er sei Bankangestellter, erzählte er. Anderen verkündete er, dass er als erfolgreicher Manager eines Golfplatz-Projekts in Spanien tätig sei. Wieder anderen davon, dass er Ingenieur in einem Planungsbüro in Wasserzell (Kreis Ansbach) sei. Er gab sich wahlweise auch als Student an einer Bundeswehr-Hochschule aus – und als erfolgsverwöhnter Immobilienmakler mit Konten in der Schweiz. Nichts von alledem stimmte. Er lebte vom Geld seiner arbeitsamen Eltern.
Wie weit seine psychische Schieflage bereits fortgeschritten war, war für seine Eltern offenbar nicht erkennbar. Sie zeigte sich erst in der Nacht zum vergangenen Montag. Zwischen 1 Uhr und 1.30 Uhr betrat er, bewaffnet mit einem großkalibrigen Revolver, der seinem Vater gehörte, das Schlafzimmer seiner Eltern. Den Spuren zufolge erschoss er zunächst seine bereits schlafende Mutter, dann seinen Vater, der wach geworden war und aus dem Bett flüchten wollte. Die letzte Kugel hob Michael R. für sich selbst auf. Als Versager und Lügner wollte er auf keinen Fall dastehen – vor allem nicht vor seinen Eltern. Da war ihm sogar der Tod lieber. Helmut Reister