Der Kampf gegen das Innenstadt-Sterben: So soll er im bayrischen Oberland gelingen

Bad Tölz-Wolfratshausen/Weilheim-Schongau/Garmisch-Partenkirchen - Rote Teppiche werden den Kunden vor den Geschäften in Bad Tölz ausgerollt, in Partenkirchen gibt es Live-Musik und in Lenggries verschenken Läden Blumensamen. Alles unter dem Motto "Das Oberland blüht auf!" - ein von acht Orten ausgetragenes Frühlingsevent am Freitag, den 3. Mai. Es ist der erste "Innenstadt-Freitag" - fünf weitere sollen an den ersten Freitagen des Monats bis Oktober folgen. Die Themen reichen dabei von "Fußball-EM" über "Urlaubsfeeling" bis hin zu "Oktoberfest". An der Aktion beteiligen sich Bad Tölz, Garmisch, Partenkirchen, Geretsried, Lenggries, Murnau, Penzberg und Weilheim.
58 Prozent der Städte sehen Angebotslücken
Die Idee: Menschen in die Stadt bringen, wenn "der Arbeitgeber frisch überwiesen hat", sagt Projektkoordinator André Liebe der AZ mit einem Augenzwinkern. Mehr Kundenzulauf ist zwingend nötig, denn die Innenstädte befinden sich nach der Corona-Pandemie und mit dem weiter erstarkenden Online-Handel in der Dauerkrise. Das zeigt auch eine Umfrage des bayerischen Wirtschaftsministeriums aus dem vergangenen Jahr: 41 Prozent der Mitglieder des Berufsverbands City- und Stadtmarketing Bayern AKCS befürchten eine Abnahme der Innenstadt-Attraktivität. 58 Prozent der Städte sehen bei sich einzelne Angebotslücken, 30 Prozent sagen sogar, dass wichtige Angebote fehlen.
Das bayerische Wirtschaftsministerium hat daher die Förderinitiative "Neue Läden und neue Ideen für Bayerns Innenstädte" ins Leben gerufen, um Projekte wie den "Innenstadt-Freitag" zu fördern. 57.000 Euro steuern die Gewerbevereine aus dem Oberland selbst bei, der Freistaat verdoppelt auf 114.000 Euro. "Das Geld wird ausschließlich für den Aufbau einer Projekt-Infrastruktur eingesetzt", sagt Liebe. Das heißt, die Aktionen, die vor Ort stattfinden, werden von diesen selbst verantwortet. "Wir stellen lediglich das Dach, das ganze Marketing und die Pressearbeit."
Ein Vorbild für andere Städte in Bayern?
Der "Innenstadt-Freitag" ist laut Liebe eine "Charme-Offensive", um zu bewerben, was man im Internet nicht findet: "Beratung, Kleidung, die ich anprobieren kann, etwas umtauschen, ohne ewig Päckchen hin und her zu schicken." Um darauf wieder den Fokus zu setzen, wollen die Orte mit Gewinnspielen, Musik, für das Motto passende Dekorationen und Mitmachaktionen wie Malkreide für Kinder einen Anreiz schaffen, in die Stadt zu gehen.

Das mittelfristige Ziel ihm zufolge: Den "Innenstadt-Freitag" zu einer festen Institution erheben. Wenn die ersten Veranstaltungen im Mai und Juni gut laufen, möchte man die Reihe im nächsten Jahr wiederholen. Denkbar ist auch, dass die Aktion für andere Städte als Vorbild dient, wenn sie sich bewährt, wie das bayerische Wirtschaftsministerium auf Anfrage der AZ mitteilt. Auch die IHK München und Oberbayern ist als Sponsor in das Projekt involviert. Deren Einzelhandelsexpertin Julia Fuchs sieht in solchen Aktionen das Potenzial, "eine gewisse Verbundenheit zu der Innenstadt, dem Ort, der Region zu entwickeln." Sie kann sich vorstellen, dass es einen nachhaltigen Effekt geben könnte und die Besucher der Aktion auch abseits davon wieder öfter die Innenstadt aufsuchen.
"Wenn alle Orte gleichzeitig etwas machen, schnappen sie sich gegenseitig die Kunden weg"
Nicht alle Gewerbevereine im Oberland teilen diese Hoffnung. Der Verein "Werbekreis Einkaufstadt Wolfratshausen" hat etwa die Einladung, bei der Aktion mitzumachen, abgelehnt. Der Vorsitzende Hans-Joachim Kunstmann befürchtet eine Art Kannibalisierungseffekt: "Wenn alle Orte gleichzeitig etwas machen, schnappen sie sich gegenseitig die Kunden weg."
Die IHK-Expertin Fuchs räumt ein, dass diese Gefahr auf den ersten Blick durchaus besteht. "Die Region nimmt das aber in Kauf, um vereint für die Innenstadt einzutreten." Innerhalb der Aktionsgemeinschaft gibt es laut Fuchs keinen Konkurrenzgedanken, zumal die Konsumenten in der Region grundsätzlich sehr kaufkräftig sind und die größte Konkurrenz der Online-Handel ist. Das sieht auch Projektkoordinator Liebe so: "Alle sind mit so einem Elan dabei und versuchen, für die anderen Werbung zu machen. Sodass jemand aus Lenggries vielleicht auf die Idee kommt, dass es auch in Weilheim ganz schön zum Einkaufen sein könnte."
IHK-Experten: Es müssen auch "konsumfreie" Orte in der Innenstadt geschaffen werden
IHK-Expertin Fuchs weist aber auch darauf hin, dass "Erlebnisse zu schaffen" allein nicht ausreiche, um das Innenstadt-Sterben zu bremsen. "Es braucht eine gewisse Angebotsvielfalt, die in den Innenstädten gewährleistet sein muss." Das heißt: Handel, Gastronomie und Kulturbranche müssen etwa präsent sein. Der Gewerbevereinsvorsitzende Kunstmann aus Wolfratshausen beklagt vor allem die wegen überbordender Bürokratie fehlenden Lebensmittelhändler in den Innenstädten, die sich fußläufig erreichen lassen. Bayerns Wirtschaftsministerium nennt die Erreichbarkeit der Innenstadt für die Kunden und den Lieferverkehr als weiteren wichtigen Aspekt, der von den Städten gewährleistet werden muss.
Außerdem muss laut Fuchs die Aufenthaltsqualität für alle Zielgruppen gestärkt werden. Indem zum Beispiel auch "konsumfreie" Orte geschaffen werden, wie etwa Grünflächen oder Sitzgelegenheiten, damit auch jene mit kleinerem Budget wie Schüler oder Studenten sich dort aufhalten können. "Wenn man sich zum Beispiel mit Freunden trifft, gehen wir davon aus, dass bei einer großen Angebotsvielfalt der ein oder andere dann doch etwas kauft, auch wenn er es ursprünglich gar nicht vorhatte", sagt Fuchs. Die Händler allein können die Innenstadt nicht retten. Für wirklich nachhaltige Veränderung muss sich auch die Stadt selbst wandeln.